| ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
| Mk 14,(1-2)3-9 | Jes 50, 4–7 | Phil 2, 6–11 | Mt 21, 1–11 |
Stellung im Kirchenjahr
Palmsonntag – Auftakt zur Karwoche, auch Heilige oder Stille Woche genannt: Zu keiner Zeit im Kirchenjahr liegen Leben und Tod so dicht beieinander, durchleben wir (falls wir uns darauf einlassen) in so wenigen Tagen solch ein Wechselbad der Gefühle: Wir singen Hosianna, wenn wir uns an Jesu Einzug nach Jerusalem erinnern. Doch Trauer erfüllt uns, denken wir an sein nahes Leiden und seinen Tod. Diese Spannung gilt es auszuhalten, bis der Ostermorgen die erlösende Auferstehung verkündet.
Exegetische Hinweise
Der Evang. Predigttext spiegelt das Wechselbad der Gefühle wider: Während man in Jerusalem die die Gefangennahme Jesu am Passafest vorbereitet, wird dieser in Betanien mit Nardenöl gesalbt.
Doch da sich in erfreulicher Ökumene sich die evang. AT-Lesung (Jes 50,4-9) bis auf die letzten beiden Verse mit der kath. 1. AT-Lesung deckt, sollen sich die hier folgenden Ausführungen auf dieses „dritte Gottesknechtslied“ des Deuterojesaja konzentrieren. Abweichend von den drei weiteren Gottesknechtsliedern des Prophetenbuches (Jes 42,1-4(.7); 49,1-6; 50,4-9; 52,13 bis 53,12) spielt hier das stellvertretende Leiden des Gottesknechts keine Rolle; vielmehr geht es darum, selbst in schwierigen Zeiten eine vertrauensvolle Beziehung zu Gott durchzuhalten. Auch die weiteren ev. und kath. Lesungstexte für die Epistel und das Evangelium drehen sich um die zuversichtliche, ja, jubelnde Glaubensgewissheit angesichts sogar von Leid und Tod.
Formal hat der Text einiges gemeinsam mit Vertrauenspsalmen des Psalters: Der Lobpreis richtet sich in Ich-Form direkt an Gott; stolz erträgt der Prophet Anfechtung und Leid in der zuversichtlichen Hoffnung auf göttliche Hilfe. Die verdichtende Poesie des Betenden berührt bis heute. Eine Übersetzung dieses sehr kunstvollen Psalmgedichts ist jedoch nicht einfach, zumal ist die Bedeutung des Wortes יעיר , das in Jes 50,4b gleich zweimal auftaucht, bis heute nicht geklärt ist. Nur unzureichend spiegeln zudem deutsche Übersetzungen das unserem Sprachgefühl und Vorstellungsvermögen fremde Zeitverständnis des Hebräischen wider: Indem man die alten Worte ausspricht, vergegenwärtigt man sich ihren Inhalt in einer Weise, dass vergangenes und zukünftiges Geschehen gleichermaßen für heute gültig wird.
Im Horizont des Palmsonntags wird die im Urtext mitschwingende Gleichzeitigkeit der Geschehnisse wichtig: Vergegenwärtigen wir uns doch – durch eine Palmsonntagsprozession physisch eindrücklich – ein Geschehen, das zwar vor rund 2000 Jahren stattfand, doch heute genauso wirksam ist wie damals.
Der Zuspruch des Propheten an die Müden gilt insofern buchstäblich heute bis in Ewigkeit: den israelitischen Zeitgenossen der damals zweiten Generation im babylonischen Exil, Jesus mit seinen Jüngern zu Beginn seines Leidenswegs vor 2000 Jahren, und uns, die all dies immer wieder im Blick auf das heutige Geschehen neu durchbuchstabieren sollen, können und dürfen. Die Herausforderung besteht darin, diese verschiedenen Zeitebenen spürbar zu machen, ohne sie dabei zu vermischen.
Impulse zur Predigt
Eine Predigt stärkt und richtet die Gemeinde auf; das „geschieht einfach“, so glauben, so hoffen wir. Doch tut es das wirklich? Unser Liedtext erinnert uns: Selbstverständlich ist das nicht! Denn zuerst sind wir selbst als Predigende darauf angewiesen, dass Gott uns ein Ohr für sein Wort öffnet. Sind wir offen für das Wort Gottes? Hören wir seine Botschaft heraus aus all dem Lärm, der unsere Ohren von früh bis spät umtost, aus allem, was uns als Wahrheit zugetragen und verkauft wird? Und wenn wir sie hören: Achten wir darauf, schenken wir ihr Gehör? Wie steht es um unsere eigene geistliche Identität, um unsere Spiritualität im Alltag? Jeden Morgen neu weckt Gott uns das Ohr – nicht nur am Sonntag: An uns liegt es, Bedingungen zu schaffen, dass unser Ohr den Wecker nicht verschläft!
Gottes Wort will und soll immer wieder neu gehört und ausgelegt werden – zuzeiten des Babylonischen Exils, zuzeiten Jesu und seiner Jünger, in den heutigen und in kommenden Zeiten. Die Botschaft des lebendigen Gottes lebt nur weiter, wenn wir sie jeden Morgen neu hören, neu durchbuchstabieren, neu interpretieren. Nur wer gut zuhört, bleibt aufmerksam für Gott, für andere und sich selbst, bekommt und bewahrt sich die Stärke, den Mut und buchstäblich die Passion, seine Botschaft zu verkündigen. Nur dann kann Gottes Botschaft uns (und andere durch uns) erreichen, stärken und aufrichten.
Gottes Botschaft der Liebe zu predigen – oft scheinbar gegen alle Vernunft und Erfahrung –, das war durch alle Zeiten gefährlich für Leib und Leben. Jesus und seinen Jüngern brachte sie Anfeindungen und Folter bis zum Tod. Prügel und Beleidigung wie hier für den Propheten war da noch das Geringste. Damals trugen freie Männer stolz ihren Bart; nur Sklaven waren rasiert: Den Bart eines Freien zu raufen, dessen Haare auszureißen, ihn zu bespeien, stellte eine schwere Verletzung der persönlichen Ehre dar. Es überrascht, mit welch stolzem Gottvertrauen der Prophet diese Schmach auf sich nimmt: Wer wagt, mich anzuklagen? Wer könnte etwas gegen mich vorbringen? Der soll nur kommen! Dabei das Gesicht gegenüber dem Schmerz zu verhärten „wie einen Kiesel“ bedeutet nicht, auch das Herz zu verhärten: Mit-leidende Hingabe, ja, Passion für die Verkündigung von Gottes Botschaft, wäre so nicht möglich.
Die Bergpredigt nimmt dieses Motiv auf, wenn Jesus die Hörenden dazu auffordert, nach einem Schlag auf die rechte Wange auch noch die linke Wange hinzuhalten: Der Schlag auf die rechte Wange beleidigt den Gegner, denn er kommt mit dem Handrücken der rechten Hand. Das ist kein passiv-erduldender Pazifismus: Denn einem Streit um Gottes Gerechtigkeit und darüber, was daraus für uns Menschen zu folgern ist, gehen weder der Prophet, noch Jesus aus dem Weg. Sie wissen: Glauben lebt, wächst und entfaltet sich nur, wenn er weitergegeben wird; dafür braucht es Worte und Gesten des Dialogs, der durchaus auch einmal konfrontativ sein kann. Nur der Einsatz physischer Gewalt ist keine Option.
Angriffen auf Leib und Leben sind wir beim Predigen in Mitteleuropa heute glücklicherweise nicht mehr ausgesetzt. Im Glaubensbekenntnis preisen wir Gott den Schöpfer; die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung, zu uns Menschen und unseren Mitgeschöpfen ist ein Gemeinplatz des Glaubens, den wir gerade durch unsere zahllosen Gottesdienste im Grünen gerne und ausgiebig feiern. Geht es allerdings um die Konsequenzen, die sich daraus für unser Tun ergeben, sieht es manchmal anders aus. Kritisch wird es, sobald wir die persönliche Mit-Verantwortung für ein gedeihliches und achtsames Wirken in der Schöpfung erwähnen, die uns Menschen als Gottes Sachwalter auf der Erde zukommt: Da wird dann allerdings um die Wahrheit gerungen und verbal mitunter hart gekämpft; im Einzelfall prallen verschiedenste Persönlichkeiten, Interessen und Erkenntnisstände aufeinander. Befindlichkeiten und Animositäten überlagern dabei schnell die eigentlichen Sachfragen und Inhalte. Wie leicht fühlt sich jemand übergangen, nicht ausreichend gewürdigt, missverstanden? Die Fronten verhärten sich, der eine reagiert mit aggressiver Polemik, wird ausfallend, beleidigend, die andere zieht sich zurück, steigt aus – im schlimmsten Fall sogar aus der Kirche. An passenden Beispielen aus der Gemeinde des/der Predigenden wird es nicht mangeln, um das konkret – in aller gebotenen Achtsamkeit – auszuführen.
Ein Schlag ins Gesicht (im übertragenen Sinne) kann uns da schon einmal treffen. Ertragen auch wir das mit dem Selbstbewusstsein und der Glaubensgewissheit, wie vor uns der Prophet und Jesus?
Nachhaltigkeit in der Kirche durch Kirchliches Umweltmanagement
Der seelsorgliche Ton des Textes spricht mich als Umweltengagierte in der Kirche an. Nach langjähriger Erfahrung erscheint mir kirchliches Umweltmanagement (mit dem Zertifikat „Grüner Gockel/Hahn/ Güggel“) am geeignetsten, um nachhaltiges Handeln in kirchlichen Gemeinden und Einrichtungen wirkungsvoll zu fördern: Denn es gibt diesem Ringen einen formalen Rahmen. Mich begeistert immer neu, wieviel Freiheit dieser Rahmen gibt, nachhaltiges Handeln vor Ort individuell zu gestalten, wenn es denn von gut qualifizierten Haupt- oder Ehrenamtlichen behutsam, doch zielorientiert angeleitet wird:
Selbst entwickelte „Schöpfungsleitlinien“ dienen als Richtschnur. Mit Hilfe von Checklisten prüfen Umweltteams, wo man steht – auch im Vergleich zu gesetzlichen Vorgaben oder Selbstverpflichtungen wie z.B. die EKD-Klimaschutzrichtlinie vom November 2022 (die übrigens nur Gesetze ausführt, die eben auch für die Kirche gelten). Dann setzt man sich Ziele und plant, in welchen Bereichen man sich konkret verbessern möchte. Die Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, möglichst viele zu beteiligen und externe Unterstützung mit einzubinden. Jährlich überprüft man in einem Internen Audit, mit welchem Erfolg die Maßnahmen umgesetzt, die eigenen Ziele erreicht hat, und wo man vielleicht nachsteuern sollte.
Das Lied des Gottesknechts klingt mir wie eine Begleitmusik auf diesem Weg: Das lateinische Wort audire heißt „hören“. Das gilt vor allem für kirchliche Umweltauditor*innen, die den Weg ins Umweltmanagement anleiten und es begleiten. Immer wieder neu sollen sie genau hinhören und zuhören – den radikalen Voll-Ökos, den „Teilzeit-Heiligen“, für die Ökoprodukte mehr oder weniger zum Lebensstil gehören und denen, die schöpfungsfreundlichem Handeln eher skeptisch begegnen. Ihnen allen sollen sie zuhören in Konflikten und für sie das richtige Wort finden. Das Lied des Gottesknechts verspricht ihnen und uns: Gott wird uns das Ohr öffnen, damit wir gut zuhören können. Das wird uns stärken, wenn wir im Sturm widerstreitender Interessen Anfeindungen ausgesetzt sind. Und es wird uns helfen, andere zu stärken, weil wir die richtigen Worte finden für die, die der vermeintlich unfruchtbaren Diskussionen müde sind, die gebeugt erscheinen von der Last tatsächlicher oder gefühlter Misserfolge.
Die jüdische Morgenliturgie beginnt mit dem Segensspruch: „Gepriesen seist du, Herr, unser Gott, König der Welt, der den Müden Kraft schenkt.“ Diese Glaubensgewissheit, die sich auch im Gottesknechtslied des Deuterojesaja spiegelt, wirkt ansteckend bis heute: In jedem Moment seit damals, vor zweieinhalb Tausend Jahren, stärkt Gott uns den Rücken, lässt er unsere Zuversicht wachsen und gibt uns den langen Atem, der nötig ist, um ein schöpfungsfreundliches Leben zu gestalten, in dem jeder und jede von uns ihren Platz hat.
Christina Mertens, München