30.11.2025 – 1. Advent

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Röm 13, 8-12 Jes 2, 1-5 Röm 13, 11-14a Mt 24, 37-44 od.
Mt 24, 29-44

Mit dem 1. Advent beginnt in der protestantischen wie in der römisch-katholischen Kirche das neue Kirchenjahr. Der Blick der Gläubigen fokussiert sich gleich auf den Adventus, die Ankunft des Heilandes. Die Adventszeit ist Vorbereitungszeit auf das Hochfest der Geburt Jesu – Weihnachten.

Die Lesungen des 1. Advents erinnern im Allgemeinen an das In-die-Welt-Kommen Jesu, die Lesungen des 2. Advents an die zweite, dann endzeitliche Ankunft des Erlösers. Der Evangeliums-Text der römisch-katholischen Lesereihe (Mt 24,29-44) nimmt diese zweite Ankunft bereits am 1. Advent vorweg.

In unterschiedlicher Intensität betonen die Lesungen des heutigen Sonntags, wie wichtig es ist, vorbereitet zu sein auf die Zukunft. Hier lassen sich Anknüpfungspunkte finden für nachhaltiges Predigen: Die Welt geht auf eine Zukunft zu, die immer unsicherer ist, die geprägt sein kann von Kriegen und Extremwetterereignissen, von Migrationsbewegungen in einem Ausmaß, das wir in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts so nicht kannten. Dystopische Zukunftsbilder malen viele Romane, die geeignet sind, die Angst vor der Zukunft zu steigern. Motivation für Widerstand und (positive) Veränderung entsteht dadurch eher nicht, denn Angst führt zu Fluchtreflexen und Fluchtverhalten.

Können die Lesungen des 1. Advents dazu beitragen, die Augen zwar nicht vor der Realität zu verschließen, aber dennoch mit einem positiven Blick nach vorne zu schauen?

Jes 2,1-5 (1. Lesung der röm.-kath. Lesereihe)

Schaut man sich den Aufbau des Jesaja-Buches an, ahnt man, in was für schwierigen Zeiten die Propheten hier wohl aufgetreten sind: Kein Wort der Vorstellung oder der Berufung, sondern gleich eine erste Drohrede steht am Anfang. Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Stalles - Jes 1,5 steht im Hintergrund der Krippenidyllik der Weihnacht. Das Volk Gottes aber kennt seinen Gott nicht mehr, sondern ist von ihm abgefallen. Wenn es nicht umkehrt zu Gott, so die Drohung des Propheten, dann wird es vollkommen vernichtet.

Inmitten dieses dystopischen Szenarios des ersten Kapitels leuchtet im zweiten Kapitel dann aber Hoffnung auf: Am Ende der Zeiten wird der Zion, der Berg des Herrn, fest stehen, und von ihm wird Weisung ausgehen für alle Völker. Schwerter werden zu Pflugscharen und Speere zu Sicheln, wenn die Völker sich unter den Weisungen Gottes vereinen.

Was für ein Kontrast zu der Dystopie des ersten Kapitels und was für eine Vision für Menschen, die in ihrem Alltag die Kriege und die Zerstörung erleben, von denen der Prophet im ersten Kapitel spricht! „Gott ist immer noch Herr der Geschichte - und er will, dass sie zu einem guten Ende kommt!“, so höre ich den Propheten zu seinen Mitmenschen sagen. Es ist ein starkes Bekenntnis gegen die Schrecken des Alltags, das in das Plädoyer mündet, an den eigenen Werten und dem eigenen Glauben festzuhalten: „Kommt nun, ihr vom Hause Israels, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“ (Jes 2,5).

Mt 24,29-44 (Evangelium in der röm.-kath. Lesereihe)

Das Kapitel 24 des Matthäus-Evangeliums blickt voraus auf den zweiten Advent, die Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag. Dieser Wiederkunft geht eine „Zeit der Bedrängnis“ voraus, entsprechend düster ist die Grundstimmung des Textes. Hinter diesen dunklen Tönen scheint jedoch die Hoffnung durch, dass es am Schluss eben doch der seine Welt liebende Gott ist, der am Ende der Zeiten steht.

Willkürlichkeit und Unberechenbarkeit des Jüngsten Tages machen ein leichtes Vertrauen in diese Hoffnung allerdings fast unmöglich. Der Evangelist fordert seine Gemeinde daher auch nicht zu irgendeinem bestimmten Verhalten auf – allenfalls in Vers 35 könnte der Appell gehört werden, am Wort Gottes festzuhalten. Entscheidend ist vielmehr der Ruf zur Wachsamkeit – was auch immer diese Wachsamkeit konkret bedeutet.

Gerade dadurch erscheint mir das Evangelium aber den gegenwärtigen Herausforderungen sehr angemessen: Wenn wir in dystopischen Zeiten leben und eine nachhaltige, lebenswerte Zukunft nur mithilfe einer Großen Transformation möglich werden kann, dann gilt es, Wege zu wagen, die Neuland bedeuten und deren Erfolg mitunter offen ist. „Patentlösungen“ gibt es nicht immer, umso wichtiger ist es, wachsam zu sein, für das, was möglich ist – und für das, was keine Zukunft mehr hat.

Röm 13,8-14a (8-12: prot. Predigttext; 11-14a: 2. Lesung röm.-kath. Lesereihe)

Vers 11 situiert die Mahnungen, die Paulus ausspricht, zwischen dem ersten und dem zweiten Advent: „Das Heil ist näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.“ Paulus und seine Gemeinden leben (noch) in der Erwartung, dass die Wiederkunft Christi unmittelbar bevorsteht und das Reich Gottes in seiner Fülle anbricht. Wie also sollen Christinnen und Christen leben, wie mit anderen umgehen in dieser Zwischenzeit, an diesem Ende der Zeiten?

Mit der Endzeiterwartung eng verbunden ist die Vorstellung vom Weltgericht (Mt 25,31ff u.ö.). Schon im Evangelium der röm.-kath. Lesereihe ist deutlich geworden, dass niemand die Zeit und Stunde weiß, zu der dieses Ende der Zeiten anbrechen wird. Ähnlich wie im Evangelium mahnt daher auch Paulus zur Wachsamkeit: „Seid niemandem etwas schuldig!“ (V. 8) Die Predigt kann diesen Gedanken aufgreifen und danach fragen, wem wir heute etwas schuldig bleiben: kommenden Generationen, auf deren Kosten unser aktueller Lebensstil geht, Menschen im globalen Süden, die unter der Erderhitzung leiden, die durch die langjährigen Emissionen vor allem des globalen Nordens entstanden sind… „Später machen wir das wieder gut“, ist für Paulus angesichts des nahen Endes der Zeiten keine angemessene Haltung im Umgang mit solcher Schuld, „nach uns die Sintflut“ auch nicht, da im Weltgericht Christus danach urteilen wird, was Menschen den geringsten unter ihnen (an-)getan haben (Mt 25,40).

Wer Christus angezogen hat (V. 14) lebt aus der Haltung der Liebe gegen alle Menschen (und alle Geschöpfe). In dieser Haltung der Liebe, so wird Paulus nicht müde zu betonen, sind alle Gesetze erfüllt.

Wir leben in einer Zeit, die zunehmend von Konflikten geprägt ist. Mit diesen Konflikten geht einher, dass Menschen aneinander schuldig werden oder einander etwas schuldig bleiben. Wie kann in diesen Zeiten die von Paulus beschriebene Haltung der Liebe aussehen? Die Verse 10 und 13 geben Antworten, die auch heute aktuell sind: Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses, ja liebt ihn wie sich selbst; wer aus der Haltung der Liebe lebt, der oder die kennt keinen Hass und keinen Neid. Übersetzt für heute könnte dies bedeuten: In der Haltung der Liebe begegne ich auch Andersdenkenden, ja selbst denen, deren Haltungen mir fremd sind, mit Respekt. In der Haltung der Liebe suche ich nach Perspektiven, die es allen ermöglichen, genug zum Leben zu haben.

Christinnen und Christen können aus dieser Haltung heraus leben, ist Paulus überzeugt, weil sie Christus angezogen haben!

Dr. Wolfgang Schürger, München