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Titus 3, 4-7
Nachhaltiger am Christfest leben
Nachhaltig zu predigen versuchen, bedeutet für mich, das Wort Gottes in den Kontext der Nachhaltigkeit hineinzusprechen, und damit den Kontext, in das es sich selbst hineinspricht, nicht unter Absehen der Klimakatastrophe und der Frage nach einem nachhaltigen Leben zu bedenken, sondern gerade als ein solcher, der zutiefst und mit bestimmter Dringlichkeit davon geprägt ist. Für mich heißt es, die Worte und Begriff, die im biblischen Text den weltlichen Kontext bilden und Gottes Wort beinhalten, auf der Folie der kommenden Klimakatastrophe zu lesen und zu deuten. So muss (Dringlichkeit!) es zu einer Umdeutung der Begriffe kommen. Sie können angesichts des Klimawandelns nicht mehr dieselben bleiben. Das soll weiter unten im Blick auf drei zentrale Begriffe des Textes versucht werden.
Beim Thema „Nachhaltigkeit“ geht es für mich vor allem um die Entwicklung und Aneignung eines anderen und neuen Lebensstils, ja einer bestimmten, eben nachhaltigen Lebenskunst. Die Feier des Christfestes, in das unser Predigttext hineingesprochen werden soll, ist im Blick auf Lebensstile sicherlich einer der am stärksten geprägten Zeiten im Lauf des Jahres. Nachhaltigkeit spielt dabei wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle. Vielleicht kann man das „Weihnachtsereignis“ aber genau als das verstehen: Die Offenbarung eines Lebensstils, des Lebensstils Gottes, wie er uns in Jesus Christus vor Augen gemalt und uns nahegelegt wird. Die Geburt Jesu, die Inkarnation Gottes als Mensch, die Erscheinung der allen nahen Menschenfreundlichkeit Gottes ist selbst ein ganz anderer und neuer Lebensstil eines Gottes. Davon wäre am ersten Christtag in den Worten und Gedanken des Titusbriefes zu erzählen.
Die vier Verse des Titusbriefes sind im Luthertext ein einziger Satz und dieser ist poetisch, im sprachlichen Sinne, aber auch im Blick auf die Wirklichkeit: Er spricht von einer anderen herrlichen Wirklichkeit und er möchte die, die davon angesprochen werden, zu Teilhabern und Teilhaberinnen dieser Wirklichkeit machen. Eine Predigt, der gelingt, diese wirkmächtige Poesie weiterzugeben, wäre selbst Teil des Textes. Aus meiner Sicht hat dieser eine Satz unseres Textes seine Zielrichtung an seinem Ende, alles andere fließt sozusagen auf diese Öffnung und dieses Aneignungsangebot zu. Wir sind Erben des ewigen Lebens. Die einzelnen Aussagen des Textes führen logisch, aber auch existentiell begründend dorthin und alles ist so ausgesagt, dass es geschehen ist und damit gilt und da ist: Die Freundlichkeit Gottes, seine Menschenliebe, unsere Seligkeit und Gerechtigkeit, das Bad der Widergeburt und das Übermaß des Heiliges Geists und der Gnade und die Hoffnung, die uns allem versichert. Fast – so möchte man einstimmen – ist das Erbe des ewigen Lebens zum Greifen nah. In drei Schritten wollen wir diesen Weg sozusagen zurückgehen und die oben angedeutet „Umwertung der Worte“ versuchen bzw. dazu Impulse geben.
Baden statt Ersaufen
Das „Bad der Widergeburt“ (als Begriffsmaterial für die Predigt genommen) ist nachhaltig nicht zu denken und auszusagen, ohne die Bilder, die die Klimakatastrophe im Blick auf Wasser provoziert. Zu denken wäre an die ungeheure Trockenheit in bestimmten Regionen der Welt, in denen Wasser monatelang ausbleibt oder Flächenfeuer kaum noch zu löschen sind, aber auch an die zerstörerischen Wassermassen und Fluten, die ganze Landstriche und Dörfer unter sich begraben. Auch wenn das „Bad der Widergeburt“ metaphorisch verstanden wird, lebt in dieser „Beschreibung“ das wichtige Moment, dass unsere Sündhaftigkeit mit Christus mitstirbt, abgewaschen wird und untergeht. Dieses Moment kann man angesichts der „Wasserkatastrophen“ nicht mehr „einfach so“ predigen. Das „Bad der Widergeburt“, durch das Christinnen und Christen am Christfest erneuert werden, muss inhaltlich verbunden werden mit der Erneuerung des „Wasserergehens“ in der Welt, zugespitzt formuliert: Wer christlich sich heilsam erneuernd in der Liebe Gottes badet, der kann die Welt nicht ertrinken oder vertrocknen lassen, der muss so leben, dass Wasser so wie für ihn geistlich genommen eine gute Ressource ist diese auch wieder eine gute weltliche Ressource wird.
Vorfahren statt Erben
Unser Text spitzt sich selbst zu, indem er seine Hörerinnen und Hörer zu Erben macht. Erbe werden oder sein, setzt (verwandtschaftliche) Beziehungen voraus, ist Akt der Auswahl durch einen anderen oder des Zufalls und richtet den Blick nach hinten: Jemand vor mir vererbt mir etwas. Jemand hat etwas getan, was mir zugutekommt. Dabei ist dies meistens positiv besetzt. Wer erbt nicht gerne etwas Wertvolles. So weit stimmt das Bild auch fürs Predigen. Angesichts der Klimakatastrophe ist aber die Frage, ob der Blick nicht stärker oder radikaler gewendet werden müsste. Können wir uns „einfach so“ als Erben sehen? Müssten wir nicht vielmehr den Blick nach vorne richten und uns in der Rolle der Vorfahren wahrnehmen und fragen: Was haben wir zu vererben, was haben wir zu hinterlassen? Hoffentlich auch etwas Wertvolles. Mit unserem Predigttext versichert uns das Christfest, dass wir ganz sicher Erben Gottes sind, also ganz von ihm aus alles bekommen, was er für uns bereitet und vorgesehen hat. Gerade dieses Erbe kann den Blick weiten dafür, dass wir auch etwas zu vererben haben. Es kommt in einem nachhaltigen christlichen Lebensstil hoffentlich darauf an, dass wir uns fragen, ob wir gute, menschenfreundliche, Gnade schenkende Vorfahren für anderen werden.
Runzelige Haut statt „Ewigkeitschemikalien
Inhaltliches Ziel des Titustextes ist das „ewige Leben“, ein theologischer extrem aufgeladener Begriff. Mit Sicherheit meint er eher eine Qualität als eine Quantität oder (wie in der Doxologie) stellt er eine ganz eigene „Zeitform“ dar, eine Zeit, besser ein Zustand vollkommener Präsenz Gottes und menschlicher Fülle. Am Christfest werden Gottesdienstbesucher und -besucherinnen gerade angesichts der Zeitlichkeit und Endlichkeit des Inkarnationsgeschehens an diese Dimension erinnert und in ihr verortet: So sehr Jesus irdener Mensch war, so sehr bringt er Menschen den Himmel. Aber können Predigende vom Himmel angesichts der Zerstörung der Welt noch „so einfach“ reden? Von der Ewigkeit? Das fällt schwerer, denn die Klimakatastrophe hat eine zeitliche Dimension erreicht, die nicht nur kosmologisch einem den Atem verschlägt, sondern auch „im Kleinen“. So werden PFAS "Ewigkeitschemikalien" genannt. Sie sind eine Gruppe von synthetischen Chemikalien, die in vielen Alltagsprodukten und Industriebereichen vorkommen, die sehr stabil sind und in der Umwelt sich kaum abbauen. Wenn das mal nicht „ewiges Leben“ ist. Auch wenn sich die christliche Hoffnung auf ewiges Leben davon unterscheidet und die Relativierung alles Gewesenen, Daseienden und Zukünftigen meint, wäre es gut, sie würde sich über „weltliche Ewigkeiten“ nicht erheben. Wenn im menschlichen Vorstellungsvermögen die zerstörerische Ewigkeit (wie z.B. PFASoder Atomlager) die zeitliche Dimension einer religiösen Hoffnung erreicht bzw. übersteigt, spätestens dann muss an den menschenunfreundlichen Ewigkeiten etwas getan werden. Ein christlicher nachhaltiger Lebensstil verantwortet die versprochene Ewigkeit als eine Fülle, die jetzt schon zu realisieren ist und die gegen lebenszerstörenden „Ewigkeiten“ wie „Ewigkeitschemikalien“ das Wort richtet. Das menschlich Gebürtliche ist das Signum des Christfestes und damit auch das lebendige Zarte und Zerbrechliche, ja auch Abbaubare. Zugespitzt gesagt erzählt es inmitten einer Christfest-Welt voll Geschenkverpackungen, Plastik und synthetischen Chemikalien vom ewigen Wert der pulsierenden Nabelschnur Gottes zu seiner Welt und der faszinierenden Lebendigkeit des neugeborenen Gottessohnes.
Dr. Jochen Kunath, Ev. Landeskirche in Baden