| ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
| Hebr 13,12-14 | Ez 37, 12b-14 | Röm 8, 8-11 | Joh 11, 1-45 |
Christlicher Glaube und Handeln sind untrennbar miteinander verbunden. Die biblischen Texte dieses Sonntags rufen uns dazu auf, über die Grenzen irdischer Sicherheit hinauszugehen und sich den Herausforderungen der heutigen Zeit zu stellen, Verantwortung für unsere Umwelt und Mitmenschen zu übernehmen. Dabei dürfen und sollen wir uns dem Wirken der Geistkraft öffnen und auf ihre befreiende Kraft vertrauen.
Zum Predigttext der Ev. Perikopenordnung:
Hebr 13,12–14
Exegese
Der Brief an die Hebräer schließt mit einem eindringlichen Ruf, das Leben mit Jesus über die Grenzen irdischer Sicherheit hinaus zu wagen. Im Vers 11 heißt es, dass die Leiber der geschlachteten Opferbullen außerhalb des Lagers verbrannt werden – und gerade dort hat Jesus gelitten und im Tod sein Volk geheiligt. Aus diesem Bild wächst die Mahnung in Vers 12: Wir sollen „hinausgehen zu ihm, der außerhalb des Lagers ist, und seine Schmach auf uns nehmen“. Das heißt nicht nur, uns von bequemen Alltagserwartungen zu entfernen, sondern auch bewusst jene Wege zu gehen, auf denen Ausgrenzung, Spott und Unverständnis warten.
Gleichzeitig richtet der Text unseren Blick über das Hier und Jetzt: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern suchen die zukünftige.“ Wir Christ*innen leben als Pilgerinnen und Pilger. Unser wahres Zuhause ist nicht das, was uns vorübergehend Sicherheit verheißt, sondern die Gemeinschaft Gottes, die ewig bleibt. Diese Spannung zwischen der flüchtigen Gegenwart und dem bleibenden Ziel hilft uns, den Mut zu bewahren, auch unbequeme Wege zu gehen, weil wir wissen, dass uns am Ende eine Stadt erwartet, deren Mauern aus Gerechtigkeit und Liebe sind.
Anstatt Tieropfer darzubringen, bietet uns der Brief in Vers 15 das Angebot eines neuen Kults: „Durch Jesus nun lasst uns Gott allezeit als Opfer darbringen: Lobpreis, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.“ Unser Lobgesang, unser Dank und unser öffentliches Bekenntnis sind die geistlichen Brandopfer, die Gott wohlgefällig sind. Wenn wir in Wort und Tat Zeugnis ablegen, folgen wir dem Weg Jesu, der mit seinem Leiden die größte Hingabe vollzogen hat.
Bezüge zur Nachhaltigkeit
Der Ruf des Hebräerbriefs, „hinauszugehen zu Jesus, der außerhalb des Lagers ist“ (Hebr 13,12), fordert uns heute heraus, unsere Komfortzone für den Schutz der Schöpfung zu verlassen. Jesus hat Schmach und Ausgrenzung auf sich genommen. Wir sind gerufen, uns den ernsthaften ökologischen Herausforderungen unserer Zeit zu stellen.
In Hebr 13,13–14 heißt es weiter, wir hätten „hier keine bleibende Stadt, sondern suchen die zukünftige“. Wir leben als Pilgerinnen und Pilger, deren Heimat letztlich Gottes neue Schöpfung ist.
Anstelle von Tieropfern, so der Brief (Hebr 13,15), bringt Gott heute Opfer des Lobpreises dar – unser Handeln für Klima und Artenschutz wird zum geistlichen Dienst.
Außerdem mahnt uns die Schrift, „alles in Christus“ neu zu gestalten. Ökologische Umkehr ist Teil dieser Erneuerung: Wir gehen hinaus in eine verletzte Welt, tragen die Last der Schöpfung und bauen an jener bleibenden Stadt, in der kein Ort für Ausbeutung, sondern Raum ist für Gerechtigkeit, Frieden und Fülle des Lebens.
Zu den Schrifttexten der Kath. Leseordnung:
Erste Lesung: Ez 37, 12b–14
Exegese
Ezechiel 37,12b–14 steht mitten in der Vision von der Ebene voller vertrockneter Gebeine (Verse 1–10), die Ezechiel in babylonischer Gefangenschaft empfängt. Dort, wo ganz Israel sich tot und hoffnungslos fühlt, spricht Gott durch den Propheten eine machtvolle Zusage aus.
In Vers 11 hat Gott bereits erklärt, dass die trockenen Gebeine das „ganze Haus Israel“ symbolisieren, das sich in der Verbannung tot und abgeschnitten fühlt. Die Verse 12b–14 konkretisieren nun, wie Gott dieses Volk neu belebt: Die Gräber stehen hier nicht nur für die Zerstörung Jerusalems, sondern auch für die geistliche Verhärtung eines Volkes, dessen Herz „wie ein Stein“ geworden ist (vgl. Ez 36,26–28). Das Öffnen der Gräber deutet an, dass Gott den Totenweg Israels durchbricht und die Rückkehr aus der Verbannung einleitet. Erkenntnis und Befreiung stehen hier in direkter Verbindung: Die Rückkehr nach Israel wird zum Beweis der göttlichen Treue und Macht.
„Ich gebe meinen Geist in euch, dann werdet ihr lebendig.“ Vers 14 knüpft an die Verheißung in Ez 36,27. Der Geist (hebr. rûaḥ) steht für Lebenshauch und göttliche Kraft.
Theologisch lässt sich in dieser Passage dreierlei festhalten: Erstens betont Ezechiel die Souveränität Gottes über Leben und Tod. Zweitens verbindet sich die Verheißung der Rückkehr mit dem Versprechen geistlicher Erneuerung: Heimatgewinn und Herztransformation gehen Hand in Hand. Und drittens führt Gottes Wort, das er „ausgesprochen und ausgeführt“ hat, zur unerwarteten Wende vom Grab ins Leben.
Bezüge zur Nachhaltigkeit
Wo Menschen, Gemeinschaften oder ganze Völker am Boden liegen – weil sie Gekränkte, Ausgegrenzte oder von Schuld Erstickte sind – wirkt der belebende Geist. Er öffnet Gräber jeder Form von Tod: Sucht, Perspektivlosigkeit und Ausgrenzung. Indem Gott „seinen Geist in uns“ gibt, schafft er Grundlagen für Versöhnung, Heilung und Rückkehr ins Leben. So ermutigt uns Ezechiel, unsere eigenen Wüstenräume und Gräberorte der schöpferischen Geistkraft Gottes anzuvertrauen.
Wie Ezechiel sind wir herausgefordert, auf Gottes befreiende Kraft zu vertrauen und aktiv am Erhalt unserer Ökosysteme mitzuwirken.
An diesem Sonntag ist die Kollekte für Misereor - das kirchliche Werk für Entwicklungszusammenarbeit. Mit dem Leitwort „Hier fängt Zukunft an“ zeigt Misereor: Zukunft beginnt nicht irgendwo fern, sondern genau hier und jetzt – durch Bildung, Erneuerung und Engagement. In Ezechiel wird Gottes Geist offenbar in einem Handeln, das tote Landschaften und lebensermattete Menschen neu belebt. Berufliche Bildung, wie sie Misereor in Kamerun fördert, kann verstanden werden als die konkrete Weitergabe von „Geist“: junge Menschen erlernen Fähigkeiten, erhalten neue Perspektiven.
Gottes Rettung ist weder utopischer Traum noch reines Gewissensberuhigung. Sie beginnt in der Bereitschaft der Menschen, sich vom Geist umformen zu lassen und deutet zugleich auf ein endgültiges Heil hin. Glaube und Tat gehören zusammen.
In der Fastenaktion 2026 ermutigt uns Misereor, in Bildung, Innovation und nachhaltiger Praxis jene Kraft freizusetzen, die Gottes Geist schenkt – damit wir, wie das Volk Israel einst, neues Leben in eine bedrohte Welt hineintragen.
Zweite Lesung: Röm 8, 8–11
Exegese
Das achte Kapitel des Briefs an die Gemeinde in Rom spannt den Bogen von der Verurteilung durch das Gesetz (Kap. 7) hin zur Freiheit im Geist (Kap. 8,1–17). Die Verse 8–11 stehen mitten in dieser Wendung.
In Vers 8 heißt es: „Die dem Fleisch anhängen, können Gott nicht gefallen.“ Im griechischen Text steht „σάρξ“ (sarx), das hier nicht nur den Körper meint, sondern den Menschen, der von der Sünde geprägt ist. Wer nach den Maßstäben dieser Welt handelt – aus Angst, Gewohnheit oder Egoismus – bleibt in der Gefangenschaft des Alten und kann Gottes Ansprüchen nicht genügen. Die Gegenwart des Heiligen Geistes ist die Kennzeichnung des neuen Volkes Gottes. Christ*insein ist untrennbar verbunden mit dem Empfang und der Gegenwart des Geistes Gottes. Dieser Geist beschenkt mit Gottes Gerechtigkeit, schenkt bereits jetzt neues Leben.
Freiheit von der Macht der Sünde ist kein Selbstexperiment, sondern Geschenk des Geistes. Christliche Hoffnung schlägt eine Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft: Wir leben heute aus der Kraft dessen, der den Tod überwunden hat, und blicken zugleich auf die Vollendung, wenn Leib und Geist in unzerstörbarer Gemeinschaft neu werden.
Bezüge zur Nachhaltigkeit
Der Text ruft uns in eine neue Wirklichkeit: Wer „dem Fleisch anhängt“, bleibt in egoistischen Mustern gefangen und kann „Gott nicht gefallen“ (V. 8). Doch denen, die „Gottes Geist“ empfangen haben, schenkt der auferweckte Christus nicht nur Vergebung, sondern schon jetzt neues Leben (V. 10). Dieser Geist ist nicht nur eine innere Erfahrung, sondern ein Impuls, unser gesamtes Denken und Handeln zu verwandeln – hin zu Gerechtigkeit, Freiheit und lebendiger Gemeinschaft (V. 9, 11).
Unsere heutige Konsumkultur spiegelt oft genau das wider, was Paulus als Leben „nach dem Fleisch“ kritisiert – kurzfristiges Profitdenken, Raubbau an Ressourcen, Ignorieren der Folgen für das Klima oder das Artensterben.
Wer den Geist Christi in sich trägt, ist eingeladen, schöpferische Verantwortung zu übernehmen. Paulus’ Bild vom Leben im Geist führt uns vor Augen, dass wir nicht nur Empfängerinnen und Empfänger göttlicher Gnade sind, sondern Mitgestalterinnen und Mitgestalter einer neuen Welt, die entsteht, wenn wir in Bildung investieren (Misereor Fastenaktion 2026) und ökologische Verantwortung übernehmen: ‚Hier fängt Zukunft an‘ – in uns und durch unser Handeln für Klima, Gerechtigkeit und Bildung.
Evangelium: Joh 11, 1–45
Exegese
Jesu Wirken ist in seiner Person selbst der Ort, an dem Gottes Rettungstat und Verherrlichung zusammentreffen. Die Auferweckung des Lazarus wird zum Spiegelbild des paschalen Geheimnisses von Tod und Leben. Jesus verkörpert in der ICH-BIN-Aussage («Ich bin die Auferstehung und das Leben») nicht nur eine künftige, endzeitliche Hoffnung, sondern die Botschaft von Auferstehung und Leben schon jetzt. Jesu bewusstes Zögern – zwei Tage abzuwarten – zeigt, dass Gottes Zeitplan sich nicht an menschlichen Notrufen orientiert, sondern nach seinem Heilsplan. Das Bild vom Tag mit zwölf Stunden symbolisiert, dass Jesu «Stunde» durch den Vater bestimmt wird und ihn vor menschlichen Gefahrenszenarien schützt.
Die Auferweckung ist nicht nur Heilshandeln, sondern ein Zeichen («Semeion»), das zum Glauben führen soll. Die öffentliche Gebetsformel und das laute Rufen Lazarus’ dienen ausdrücklich dazu, die Zeug*innen zu Bekenner*innen Christi zu machen.
Bezüge zur Nachhaltigkeit
Die Erweckung des Lazarus lässt sich als Bild dafür verstehen, wie Gott mitten in Zerbrechlichkeit und Tod neues Leben schenkt – und wir Christ*innen sind eingeladen, dieses Gespür für Rettung und Erneuerung auf unser „gemeinsames Haus“ zu übertragen. Wie Lazarus in der Krankheit und im Tod zum Ort der Gottesverherrlichung wurde, so signalisiert uns die ökologische Krise: Unser Planet ist krank – nicht um am Ende verloren zu gehen, sondern um durch eine ganzheitliche Erneuerung mitgestaltet und geheilt zu werden. Das bedeutet, jede Form des Raubbaus an Luft, Wasser, Boden und Biodiversität nicht als unvermeidliches Schicksal hinzunehmen, sondern als Aufruf zu verstehen, im Sinne einer ökologischen Umkehr das Leben heute und kommender Generationen zu schützen.
Jesu bewusstes Zuwarten am Ort der Krankheit und sein Gang zur Grabhöhle können wir als Symbol lesen dafür, dass wirkliche Heilung Zeit braucht und nicht einfach in Schnellreparaturen besteht. Nachhaltigkeit verlangt, dass wir uns nicht von der Eile kurzfristiger Profite treiben lassen: Schonender Umgang mit natürlichen Ressourcen, Energiewende nicht als Hürde, sondern als Weg in eine lebenswerte Zukunft.
Schließlich ist Jesu öffentlicher Ruf an Lazarus, aus dem Grab zu kommen, ein starkes Bild für das, was Franziskus „integrale Ökologie“ nennt: Alles Leben ist verbunden. Wenn wir Christus nachfolgen, befreien wir nicht nur Einzelne, sondern stehen in Solidarität mit allen Opfern der Umweltzerstörung. Nachhaltiges Handeln ist Verkündigung in Taten. So wird aus der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus eine leidenschaftliche Einladung, unsere Erde als „gemeinsames Haus“ zu bewahren und zum Zeichen göttlicher Verherrlichung zu machen.
Andreas Paul, Bistum Trier