| ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
| Hes 2,1-5(6-7)8-10; 3,1-3 | Jes 58, 7-10 | 1 Kor 2, 1-5 | Mt 5, 13-16 |
Der Autor hat auf Wunsch der Redaktion ergänzend eine Kurzfassung seiner Predigtanregung verfasst, »für die ganz Eiligen«. Er erklärt dazu jedoch ausdrücklich, sich nur mit der Langfassung wirklich identifizieren zu können, da die Leser*innen aus seiner Sicht nur mit den Differenzierungen, Erklärungen und Beispielen der Langfassung substanziell profitieren und auf dieser Grundlage etwas Eigenes daraus machen können.
Vorbemerkung
Ich werde vor allem den aus meiner Sicht deshalb schwierigen Ezechieltext bearbeiten, weil er auf den ersten Blick keine Anhaltspunkte für die Thematik der Nachhaltigkeit bietet. Die im zweiten Teil betrachteten drei Texte aus dem katholischen Bereich scheinen mir deshalb sehr viel einfacher und daher auch weniger kommentierungsbedürftig, weil sich offensichtliche Zusammenhänge mit der Thematik relativ unmittelbar aus den Bibeltexten ergeben (Jes.: Reichtum und Armut, Lebenschancen; 1. Kor.: Die Rolle des Apostels bzw. der Prediger*innen; Mt. 5: Das Subjekt des Handelns und die Rolle der Gemeinde).
Ez 2,1-5(6-7)8-10; 3,1-3
Der Predigttext lässt Ezechiel geistvermittelt JHWH hören (v 3): „Er sagte zu mir: Menschensohn, ich sende dich zu den Söhnen Israels, zu abtrünnigen Völkern, die von mir abtrünnig wurden. Sie und ihre Väter sind von mir abgefallen, bis zum heutigen Tag“[1]. Ezechiel wird zu Israeliten in eine äußerst unangenehme und brenzlige Situation geschickt (v 4): „Es sind Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen. Zu ihnen sende ich dich.“ Mehrfach wird wiederholt, dass die Menschen, zu denen Ezechiel geschickt wird, ein „Haus der Widerspenstigkeit“ seien, des „Widerspruchs“[2]. Der wichtige Kern ist, dass vermittelt wird, dass hier ein Prophet spricht und Gottes Wort weitergibt, ob man darauf hört oder nicht (v 5). Bildhaft wird geschildert, worauf sich der Prophet, der gerade berufen wird, gefasst machen muss und dass er sich dennoch nicht zu fürchten braucht (v 6): „Du aber, Menschensohn, fürchte dich nicht vor ihnen, vor ihren Worten fürchte dich nicht! Wenn dich auch Disteln und Dornen umgeben und du auf Skorpionen sitzt, vor ihren Worten fürchte dich nicht und vor ihrem Blick erschrick nicht“[3]. Schließlich wird Ezechiel aufgefordert, seinen Mund zu öffnen und eine übervolle Schriftrolle[4] zu verzehren, auf der „Klage, Ach und Weh“ verzeichnet sind (vv 8-10). Die Szene endet nach dem Verspeisen der Schriftrolle durch den Propheten damit, dass sie „…in seinem Mund süß wie Honig“ wurde.
Wie können wir dieses abseitige Bild des Verspeisens der Schriftrolle verstehen? Ich bin auf eine „Evangelische Morgenfeier“ von Christian Kley gestoßen, die für mich einen Schlüssel bietet, da die Szene in sehr einfühlsamer und produktiver Weise umgesetzt wird, so dass ich daraus im Folgenden einige Passagen übernehme[5].
„Es gibt mehr ‚Klagerufe, Seufzen und Wehgeschrei‘, als auf eine Rolle passt.“ Die muss der Prophet essen und regelrecht durchkauen. Das ist bitter! „Der Prophet muss sich die Anklagen, die er vor seine Volksgenossen bringt, erst mal aneignen. Er muss selbst zum Wort Gottes werden, bevor er vor sein Volk treten kann, um ihnen Gottes Wort auszurichten. Dass die Rolle in seinem Mund süß wird – wie Honig –, bedeutet nicht, dass die Klagerufe jetzt irgendwie weniger dringlich klingen. Und aus dem Wehgeschrei ist kein Jubel geworden. Aber Klagerufe und Wehgeschrei, die Klage Gottes gegen sein Volk, werden zumindest vom Propheten selbst jetzt nicht mehr als ungerecht und sinnlos zurückgewiesen. Wenigstens er erkennt in der Anklage auch den guten Willen Gottes.“ Es ist, wie auch sonst manchmal im Leben, wenn man Kritik oder anderem „Bitteren“ begegnet: Erst einmal kann man das gar nicht annehmen, reagiert mit unterschiedlichen Abwehrhaltungen. „Irgendwann aber – recht bald oder auch erst eine gute Weile später – kann man sich der unbequemen Wahrheit dann nähern, man schaut sich die vorgebrachte Kritik schön vorsichtig an und nimmt sie Schluck für Schluck zu sich – wie eine bittere Medizin. Dann beginnt man zu verdauen und wenn man Glück hat, lernt man sogar etwas daraus. Wachstum ist möglich, Freiheit, Leben. Der Weg aber ist schwer. Die Speise bitter.“
„Und so, wie jeder Körper durch das leibliche Essen aufgebaut werden muss, so ist es auch im geistlichen Bereich. Schon die Kritik kann ich ja gar nicht annehmen, wenn ich sie nicht schlucke und sie in mir selber verwandle, sie verdaue zu etwas, was mich nährt, was mich innerlich aufbaut. Ich kann auch die neue Lebenssituation nicht annehmen – wie wir gesehen haben – wenn ich mich dieser Situation verweigere, wenn ich sie mir nicht zu eigen mache.“ Kley macht im weiteren Verlauf seiner Andacht deutlich, dass „…unter der Anklage Gottes und unter der Androhung all der bitteren Konsequenzen, die das Fehlverhalten der Menschen nun mal hat, immer die Liebe Gottes durchschimmert. Der Gott der Bibel will, dass sein Volk lebt.“[6]
Ich glaube, so können Teilnehmende am Gottesdienst sehr gut „abgeholt“ und „mitgenommen“ werden, wenn es darum geht, individuelle Versagensängste und tatsächliches Versagen aufzuarbeiten. Das kann ja durchaus auch ein Thema in einer Predigt mit Nachhaltigkeitsaspekten sein. Ich denke aber auch an die politische und gesellschaftliche Situation, in die hinein wir zu predigen haben. Welchen bitteren Wahrheiten müssen wir ins Auge sehen, welche Botschaft sollen wir ausrichten? Auch wir haben es mit einem sehr dornigen Umfeld zu tun!
Ich schreibe gerade in einer extrem heißen und trockenen Zeit (Anfang Juli 2025), extrem heiße Tage häufen sich, der Rhein hat bei Mainz noch einen Pegel von 189 cm, in vielen vor allem südlichen Regionen Europas brennt es. Petra Pinzler und Bernd Ulrich empören sich in der ZEIT[7] zu Recht, dass die neue Bundesregierung, gut acht Wochen im Amt, trotz aller Bekenntnisse zu Umweltschutz und Klimazielen, keineswegs dementsprechend agiert: In dieser Woche will das Kabinett erlauben, dass vor der Insel Borkum nach Gas gebohrt werden darf, in unmittelbarer Nähe des Wattenmeers. In den kommenden Monaten soll die Erhöhung der Luftverkehrssteuer gestrichen werden. Die Wirtschaftsministerin will Gaskraftwerke bauen, ohne dass diese später auch Wasserstoff nutzen können. Die Stahlindustrie kippt ihre Pläne, künftig mit grünem Wasserstoff klimafreundlicher zu produzieren. Der Fördertopf für die Dekarbonisierung der Industrie wird gekürzt. Ganz zu schweigen von dem mindestens genauso gravierenden Problem des Artensterbens[8]. Man könnte diese erschreckende Liste vermutlich fortsetzen. Dabei wissen wir seit Jahrzehnten um die von uns verursachte Erderwärmung und ihre Folgen, über das Artensterben und viele andere negativen Folgen unserer Form des Wirtschaftens und Lebens, weit hinaus über die Klimafrage. Inzwischen leben Enkel, die vielleicht noch das Ende des Jahrhunderts erleben werden – was werden sie erleben?
Ich glaube, dass es in diesem dramatischen Umfeld immer wieder auch positive Entwicklungen gibt, die wir nicht verschweigen sollten – wir malen nicht nur schwarz, sondern setzen Hoffnung auch auf Entwicklungen, die Licht im Dunklen vermitteln – ansonsten wäre die Rede von den Enkeln geradezu zynisch. Um nur ein ganz kleines, aktuelles Beispiel zu nennen und nicht auszuschweifen: Eine mittelständische Firma in meiner Region[9] hat gerade vermeldet, dass sie eine Milliarde Behältnisse für ihr Produkt vertrieben hat, die selbst aus recyceltem Material hergestellt wurden und wiederum zu 100% biologisch abbaubar sind. Ein kleines Beispiel, das aber zeigt, dass sich mit Ideenreichtum und Engagement etwas bewegen lässt.
Und im sozialen Bereich, um den es in den Texten zu Sexagesima auch geht? Hier genügen Blicke in die aktuellen Berichte[10], in denen u.a. über weltweite oder nationale Vermögensdifferenzen berichtet wird, die auf eine immer höhere Vermögenskonzentration hinauslaufen, verbunden mit großer medialer und politischer Macht, die im Ergebnis demokratieschädigend wirkt.
Nicht angenehm und nicht schön, aber gleichwohl wahr ist, dass unsere eigene Position als Prediger*innen nicht die der Guten ist, die eine Botschaft an Starrsinnige auszurichten hätten! Wir selbst vermögen es bestenfalls in homöopathischen Dosen, etwas zu ändern; so muss ich das jedenfalls für mich sagen.
Auf den ersten Blick beschränkt sich der Anknüpfungspunkt für Themen der Nachhaltigkeit in der Berufungsgeschichte des Propheten Ezechiel auf die bittere Botschaft, die Ezechiel weiterzugeben hat, und auf die Klage, das Ach und das Weh. Auch wir hören viel Ach und Weh und haben bittere Botschaften. Das ist als Anknüpfungspunkt zunächst einmal nicht viel. Daher schlage ich vor, mit mittelbaren Verknüpfungen zu arbeiten, die sich aus dem Kontext dieser Berufungsgeschichte im Buch Ezechiel sowie bei anderen Propheten darüber hinaus ergeben. Ohnehin gilt das Buch Ezechiel als besonders kompliziert. Walter Zimmerli verweist im Vorwort zu seinem umfangreichen Ezechiel-Kommentar auf den synagogalen Gelehrten Hanina ben Hizquija, der dreihundert Krüge Öl gebraucht haben soll, um das Buch Ezechiel auszulegen[11]. Wir haben es also mit komplizierter Materie zu tun.
Ezechiel steht am Ende der Reihe der Schriftpropheten, die sich mit der militärischen, geopolitischen und sozialen Situation Israels (Nordreich) und Judas (Südreich) in der Zeit der assyrischen und babylonischen Angriffe und Eroberungen bis zur Zerstörung Jerusalems und der Deportation großer Teile der Bevölkerung auseinandergesetzt haben. Mit dem Jahr 587 v. Chr. ist die staatliche Existenz auch Judas ausgelöscht, der Tempel zerstört. Die Propheten Amos, Hosea, Jesaja und Zenfanja hatten sich mit dieser geschichtlichen Situation auseinandergesetzt und das heraufziehende Unheil verkündet. Den Grund für die nahende Katastrophe sahen sie, je unterschiedlich, in politisch-militärische Fehleinschätzungen der Könige und ihrer Berater sowie in religiösem und sozialem Fehlverhalten der Israeliten. Der vielfache, fortgesetzte und vielgesichtige Bruch des Bundes mit JHWH führte so in die Katastrophe. JHWH wird ein zorniger Gott[12].
Die genannten Propheten wenden sich vielfach gegen die Zuwendung der Israeliten zu den diversen Göttern, deren Verehrung sie auch in ihrer Umgebung vorfanden. Für unseren Kontext wichtig ist, dass es ihnen aber in hohem Maße auch um Gerechtigkeitsfragen ging. So richtet Amos, der um 760 im Nordreich auftrat, seine Gerichtsbotschaft aus. JHWHs Zorn wird durch die Verkehrung der Rechtsordnung geweckt, statt Heil will er nun Unheil über Israel bringen (vgl. Am 9,4b): Die von JHWH geschenkte Rechtsordnung sollte dazu dienen, „…jedem in Israel Leben und Auskommen zu ermöglichen, den Platz der Armen in der Gesellschaft zu verteidigen, die Begierde als Prinzip ökonomischen Handelns abzuwehren…“[13]. Das Recht – im Grunde muss man sagen: das private Eigentumsrecht avant la lettre –, wurde gegen die Ordnung der Gerechtigkeit in Stellung gebracht und wurde auf diese Weise selbst zum Instrument der Gier. Vor Gericht erstreiten sich die Reichen unter Berufung auf das Recht das, wessen die Armen zum Überleben bedürfen“[14] – das Recht wird also zu Ungunsten der Armen eingesetzt und verdreht, Recht und Gerechtigkeit werden zu einander entgegengesetzten Positionen. Der „…Vorrang eines zum Rentenkapital erstarrten Eigentumsrechts (wird) durchgesetzt gegenüber dem Recht jedes Menschen, sich durch seiner Hände Arbeit ein Leben in Würde vor Gottes Angesicht zu schaffen“[15]. Gottes Zorn wird dadurch plausibilisiert, dass es „jenseits der von JHWH gewollten und erklärten Lebensordnung der Gemeinschaft … kein Leben (gibt)“[16]. Miggelbrink fasst im Kontext des Propheten Hosea, der zwischen 750 und 722 im Nordreich verkündigte, folgendermaßen zusammen: „JHWHs Tora ist nicht irgendein Gesetz, sondern das der Schöpfung eingestiftete Gesetz des Lebens“[17]. Auch Jesaja, der zwischen 740 und 690 v.Chr. wirkt, wendet sich dagegen, dass die Landbevölkerung durch die Rechtsprechung der Besitz akkumulierenden Oberschicht enteignet wird[18]. Er sieht das Unheil in Gestalt des Krieges auf Israel zukommen – historisch-politische Analyse und theologische Deutung berühren sich eng[19]. Interessant ist auch die Kritik dieser Propheten an Tempelpriestern und Heilspropheten, die statt Kritik immerzu das entstandene Unrechtsregime religiös überhöhen und bestätigen, eine „Suggestion der Geborgenheit durch Gottes Nähe“ erzeugen[20].
Ich habe diesen langen Anmarsch durch die Beispiele der Ezechiel vorausgehenden vorexilischen Propheten gewählt um deutlich zu machen, dass Ezechiel sich in eine lange Tradition einreiht, die die Verknüpfung von JHWHs Heilszusage mit Gerechtigkeit und darin auch die alleinige Bindung an JHWH geltend macht. In die gleiche Richtung zielen das Deuteronomium und das deuteronomistische Geschichtswerk, die aus der Tradition des Exodus heraus auf „…eine Sozialordnung der geschwisterlichen Gleichheit“ abzielen[21]. Ezechiel deutet aus dem babylonischen Exil heraus „…den Untergang Jerusalems als ein JHWH-gewirktes Strafübel für die sozialen und religiösen Vergehen des Volkes“[22]. Entwickelte sich schon bei Jeremia eine gewisse Hoffnung für den Einzelnen und sein Leben im Blick auf die Zeit nach Gericht und Zerstörung[23], so kommt diese „…Individualisierungstendenz mit dem Ezechielbuch endgültig zum Durchbruch“[24]. Zur gesellschaftspolitisch ebenso wie theologisch zentralen Bedeutung und zur individuellen Zurechenbarkeit von Gerechtigkeit und darin Bindung an JHWH mag pars pro toto ein kurzer Textabschnitt aus Ezechiel 18,5-9 dienen: „5Wenn nun einer gerecht ist und Recht und Gerechtigkeit übt, 6der von den Höhenopfern nicht isst und seine Augen nicht aufhebt zu den Götzen des Hauses Israel, der seines Nächsten Frau nicht befleckt und nicht liegt bei einer Frau in ihrer Unreinheit, 7der niemand bedrückt, der dem Schuldner sein Pfand zurückgibt und niemand etwas mit Gewalt nimmt, der mit dem Hungrigen sein Brot teilt und den Nackten kleidet, 8der nicht auf Zinsen gibt und keinen Aufschlag nimmt, der seine Hand von Unrecht zurückhält und rechtes Urteil fällt unter den Leuten, 9der nach meinen Gesetzen lebt und meine Gebote hält, dass er treu danach tut: Das ist ein Gerechter, der soll das Leben behalten, spricht Gott der Herr.“
Die Prophetie, zumal nach dem Wendedatum 587/86 nach der völligen Zerstörung Israels und Judas, des Tempels und der Deportation nach Babylon – auch Ezechiel gehörte zu den Deportierten – stand nun vor der Aufgabe zu erklären, wie es dazu kommen konnte, trotz der mit JHWH verbunden Verheißungen. Wie kann Gott noch Gott sein als Lenker der Völker- und Weltgeschichte, wenn diejenigen, die sich in der Obhut dieses Gottes wähnen, so in der Katastrophe enden[25]?
Das Ezechielbuch, darüber ist sich die Forschung einig, ist alles andere als einheitlich. Die verschiedenen Hypothesen, von dem Versuch eine ipsissima vox einer historischen Person „Ezechiel“ herauszukristallisieren bis zu der Annahme, dass es sich um eine theologisch vereinheitlichende Buchschöpfung unter dem Namen „Ezechiel“ handelt, braucht uns hier nicht im Einzelnen zu interessieren. Interessant an dieser Debatte ist aber, dass möglicherweise Ezechiel das erste Buch der Gattung „Prophetenbuch“ ist, weil die theologisch-politische Situation dazu gezwungen hat zu erklären, dass JHWH trotz der Katastrophe Israels und entgegen allem Anschein Herr der Völker- und Weltgeschichte ist, indem er nämlich selbst diese Katastrophe heraufgeführt hat. Nur dann kann die Gottheit Gottes weiterhin behauptet werden, wenn er nicht durch die geschichtlichen Ereignisse als unwirksam entlarvt wurde. Dieser Teil der neueren Forschung vermutet, „…dass die literarische Form des ‚Prophetenbuches‘ einen bestimmten Sitz im Leben hat und wie die Form des ‚Evangeliums‘ erst ‚erfunden‘ werden musste“[26]. Eine „Amos-Schule“ und vergleichbare Schul- und Buchbildung vorexilischer Propheten hat es vielleicht gar nicht gegeben, vermutet Pohlmann selbst[27]. Ezechiel wäre dann der Erste, der durch den theologischen Deutungszwang der Ereignisse eine einigermaßen konzise Konzeption vorgelegt hätte, wie sich die Gottheit Gottes unter diesen Umständen bewährt und somit die Katastrophe des Volkes Israel nicht zugleich zur Katastrophe seines Gottes wird. Zweifel an der Gottheit Gottes bzw. an der Wirkmächtigkeit JHWHs tauchen u.a. z.B. bei Jeremia auf[28]. „Noch Deuterojesaja ‚kämpft …an gegen die tief eingebrannte Überzeugung von der völligen Unwirksamkeit Gottes‘“[29]. Jetzt erst kann gedacht werden, dass Gott selbst die Katastrophe als Folge des menschlichen Fehlverhaltens heraufgeführt hat.
Auch Predigthörer*innen heute werden angesichts zahlreicher Missstände vielleicht nach der „Gerechtigkeit Gottes“ fragen und wir werden ihnen antworten müssen, dass Gott kein deus ex machina ist, der von „oben“ eingreift und alles wieder gut macht. Wir selbst sind verantwortlich, innerhalb der guten Ordnung Gottes in der Welt lebensförderlich zu handeln. Es gibt hier einen Tun-Ergehenszusammenhang, der auf uns selbst und unser verantwortliches Handeln zurückweist.
Ich plädiere dafür, Beispiele des Gelingens in den Vordergrund zu stellen, da auch unsere Gottesdienstbesucher*innen durch die Medien ständig mit schlechten Nachrichten konfrontiert werden. Wir alle weichen den ständigen schlechten Nachrichten tendenziell aus, um seelisch einigermaßen gesund zu bleiben. Allerdings bin ich der Auffassung, dass gute Beispiele des Gelingens nicht aus der Ferne andemonstriert werden können, sondern dass die Prediger*innen sich selbst in ihrem jeweiligen Kontext auf die Suche nach guten Beispielen begeben müssen. Vielleicht gibt es eine engagierte Bürgermeister*in vor Ort, der/die ein wichtiges Thema mit Mut und Erfolg angepackt hat, vielleicht eine Gruppe von Menschen, die für die Gemeinschaft mit Engagement ein gutes Projekt angepackt und umgesetzt hat. Danach wäre zu suchen. Doch jenseits dessen wäre auch konkret davon zu reden, was schiefläuft.
Von „menschlichem Fehlverhalten“ in der seit rund einem halben Jahrhundert bekannten Auseinandersetzung um einen nachhaltigeren Lebens- und Wirtschaftsstil ist kein Mangel. Neben den o.g. Beispielen[30] möchte ich noch ein aktuelles Beispiel anfügen, an dem deutlich wird, wie sich Recht in Unrecht verwandeln und Gerechtigkeitsanforderungen eklatant widersprechen kann. Die ZEIT berichtet in einem Dossier[31] von einer Plattenbausiedlung im Westen Dresdens. Hier leben vor allem Menschen, „…die ihre Miete nicht aus eigener Kraft stemmen können: Arbeitslose und Asylbewerber, Rentner, die auf Grundsicherung angewiesen sind, und Menschen, die wegen einer Erkrankung nicht arbeiten können. Für sie alle übernimmt der Staat die sogenannten Kosten der Unterkunft, also die Miete samt Betriebs- und Heizkosten“[32]. Als 1965 das Wohngeldgesetz eingeführt wurde, war eine große Anzahl von Wohnungen noch im Besitz gemeinnütziger Unternehmen. Etwa zu Beginn des Jahrtausends wurden zahlreiche dieser Wohnungen zur Schuldendeckung von den Kommunen an große Kapitalgesellschaften veräußert. So verkaufte die Stadt Dresden 50.000 Wohnungen an einen New Yorker Hedgefond. Ähnliches geschah damals in vielen deutschen Städten mit dem – kurzfristigen – Erfolg, dass diese schlagartig schuldenfrei wurden. Die Gesetze sind allerdings so gestaltet, dass Mieten innerhalb weniger Jahre immer wieder heraufgesetzt werden können, ohne dass dafür Instandhaltungsmaßnahmen o.ä. erfolgen müssten. 2015 kaufte die Vonovia[33] die Dresdner Wohnungen. Von Mieterhöhungen, weitgehend ohne sich um die Instandhaltung der Wohnungen zu kümmern, macht die Vonovia heftig Gebrauch. Weil es viel zu wenig anderen Wohnraum gibt, können die ökonomisch schwachen Mieter nicht in andere Wohnungen umziehen, so dass die öffentliche Hand gezwungen ist, Mondpreise für diese Mieter zu zahlen – für die Firma eine sichere Bank, für die öffentliche Hand ein Desaster! Lobenstein kommt inklusiv einer ganzen Reihe von Zusatzkosten (Möbel, Kosten für Sozialarbeiter usw.), die mit der Miete in einer „Kopfpauschale“ zusammengefasst werden, auf eine unglaublich hohe Summe, die das Jobcenter Monat für Monat zahlen muss. „Was mal[34] als Hilfsleistung für Bedürftige gedacht war, ist zu einer Art staatlichem Subventionsprogramm für Wohnungskonzerne und ihre Aktionäre geworden“[35]. Ähnlich geht es in vielen anderen Städten in der Bundesrepublik zu.
Wie zu Zeiten des Amos und später auch des Ezechiel steht (Eigentums)Recht gegen Gerechtigkeit. Das Problem dabei ist nicht allein der unverschämte Reichtum, der so erwirtschaftet wird, sondern dass dies auf Kosten der Lebensmöglichkeiten der Armen geschieht bzw. hier in perfider Weise auf Kosten des Sozialstaates weit über dessen Tragfähigkeit hinaus. Reichtum ist eine nützliche Ressource, wenn er lebensdienlich eingesetzt und nicht nur für den materiellen Wohlstand einiger weniger eingesetzt wird. Als biblisches Kriterium für Sinn oder Unsinn von Reichtum könnte ein Hinweis von Bärbel Wartenberg Potter dienen: „Die Bibel denkt immer von der Gemeinschaft her, von den Beziehungen. Reichtum in Beziehung setzen heißt: Ist er gerecht erworben? Dann: Hilft er anderen? Baut er auch am Ganzen oder nur am Privateigentum? In der Bibel binden konkrete Weisungen den Reichtum an die soziale Verantwortung: zum Beispiel die Abgabe des Zehnten, der Schuldenerlass im 7. Jahr, das Zinsverbot. Die Freilassung der Sklaven im Sabbatjahr. Solcher Ausgleich schafft erst eine gemeinschaftsfähige Lebensgrundlage…“[36]
Hinweise und Anregungen zu den Texten der kath. Leseordnung
Nach der relativ ausführlichen Betrachtung zu dem Ezechieltext folgen nun drei sehr viel kürzere Überlegungen zu den Lesungen und dem Evangelium zu diesem Sonntag in der katholischen Kirche. Ich möchte darauf hinweisen, dass sich vieles von dem Material aus den Überlegungen zu Ezechiel auch hier verwenden lässt und die Texte sich zum Teil gegenseitig auslegen können.
Jes 58, 7-10
In diesem Abschnitt aus der „Tritojesaja“ genannten nachexilischen Textsammlung im Jesajabuch wird die heile Gottesbeziehung verknüpft mit der Einhaltung von Gerechtigkeitsprinzipien. Die Forderung ethisch „gerechten“ Verhaltens wird an die Stelle kultisch korrekter Verfahren gesetzt. In der Vision des „Tritojesaja“ wird sich der ehemals zornige und verborgene Gott zeigen und seine Nähe offenbaren. Die Nähe Gottes ist an das Ausüben von Gerechtigkeit gebunden.
Der moderne Sozialstaat ist eigentlich der säkularisierte Versuch, Gerechtigkeit der Lebenschancen und auch eine gewisse Verteilungsgerechtigkeit herzustellen und zu bewahren[37]. Dieser Aufgabe kommt der Sozialstaat der Bundesrepublik auch im Wesentlichen nach; gleichwohl wird er immer wieder und immer mehr beschädigt: Die Ungleichheit der Vermögen wächst seit Jahrzehnten; eine starke Konzentration hoher Vermögen beobachten wir sowohl weltweit[38] als auch auf nationaler Ebene[39]. Damit sind insbesondere sehr ungleiche Machtverhältnisse verbunden. Der Besitz übergroßer Vermögen erfüllt nicht mehr die Aufgabe, die Vermögen in einer sozialen Marktwirtschaft legitimerweise zugesprochen wird, nämlich den Bestand und die Weiterentwicklung von und Innovationen in Unternehmen zu ermöglichen. Übergroße Vermögen führen zu unfairen Machtverhältnissen und medialen Beeinflussungschancen, die lediglich der (Selbst-)Vermehrung der Vermögen dienen.
Besonders bekannt geworden ist dieser Zusammenhang durch die politische Einflussnahme des reichsten Menschen der Welt, Elon Musk. Aber so weit muss man gar nicht gehen. Auch in Deutschland wie in anderen Ländern können einzelne Superreiche ebenso wie Interessengruppen an Parlament und demokratischen Verfahren vorbei Einfluss auf politische Entscheidungen zu ihren Gunsten und damit oft auch zu Ungunsten anderer Bevölkerungsgruppen oder der Umwelt nehmen.
Ein an dem Jesajatext orientierter Gottesdienst könnte sowohl die grundsätzlich positiven Wirkungen von Diakonie und Caritas an Beispielen hervorheben und z.B. auf die christlichen Wurzeln des Sozialstaates verweisen[40]. Ebenso kann auf die Gefahren aufmerksam gemacht werden, die dem Sozialstaat durch die oben beschriebenen Vorgänge drohen.
1 Kor 2, 1-5
Auch dieser Bibeltext bietet aus meiner Sicht keine unmittelbare Verknüpfung mit den Themen der Nachhaltigkeit. Aber er zeigt, dass der „große Völkerapostel“ Paulus sich seiner Schwachheit rühmt, und zwar gerade in seiner Funktion als derjenige, der das Evangelium verbreitet. Nicht Machterweise, nicht kluge Rede oder andere Eigenschaften, die für gewöhnlich unter uns etwas gelten, sondern zitternd und zagend vertritt er seine Botschaft. Er verweist auf den Gekreuzigten, auf den, der von politischer und religiöser Macht in Folter und Tod gedrängt wurde.
Zwar ist das nicht der Weg, den wir als Christ*innen ernsthaft und lebenspraktisch gehen können. Aber der/die Prediger*in könnte zeigen, wie aus einer äußerst schwachen Position Großes wachsen kann. Paulus rühmt sich dessen, dessen Kraft in den Schwachen mächtig ist, er beruft sich auf den Geist. Das Vertrauen auf Gott, dessen Kraft in den Schwachen mächtig ist, könnte auch der Gemeinde zu der Resilienz verhelfen, die sie braucht, um die Sache der Nachhaltigkeit in einer von Macht und Gewalt entstellten Welt zu vertreten.
Mt 5, 13-16
Das Doppelbildwort vom Salz und vom Licht in der Bergpredigt ist für mich das „Lob des Indikativs“: Ihr seid das Salz der Erde - Ihr seid das Licht der Welt. Hier ist von der Gemeinde, von den Jesus Nachfolgenden im Indikativ die Rede. Die Angesprochenen müssen nicht noch etwas Besonderes leisten, sie müssen nicht etwas Bestimmtes tun, um zum Salz der Erde und zum Licht der Welt zu werden. Diejenigen, die sich von Jesu Botschaft anrühren lassen, sind das Salz der Erde und das Licht der Welt.
Auch dies scheint mir die Resilienz der christlichen Gemeinde zu stärken, allen Umfragen zum Trotz, die einen schwindenden Einfluss der Kirchen diagnostizieren. Wie schon im Wort des Paulus aus dem 1. Korintherbrief kommt es nicht auf die typischen Eigenschaften an, mit denen man in der Welt Macht und Ansehen erringen kann. Es kommt vielmehr auf den Geist an, in dem wir leben, denken und handeln. Diejenigen, die sich, wenn auch unvollkommen und in Schwachheit, an Jesus dem Christus orientieren und versuchen, Schritte der Liebe, der Gerechtigkeit und der Vergebung zu gehen – wie immer auch die biblischen Stichworte lauten mögen –, die tragen schon mit solchen zaghaften Versuchen dazu bei, dass „die Sache Jesu weitergeht“. Das abgeleitete Subjekt des Handelns im Namen Gottes ist hier direkt die Gemeinde, die Gemeinschaft der Christus Nachfolgenden. Wir sind diejenigen, auf die es ankommt, und wir brauchen dazu nichts als das Vertrauen, ja, die Gewissheit, dass Gott auch durch schwache und fehlerhafte Menschen handelt. Das zweite Bildwort trägt schließlich die Botschaft, dass auch unser Licht den Menschen leuchten kann – solches Licht braucht es in diesen dunklen Zeiten.
Dr. Thomas Posern, Ev. Kirche in Hessen und Nassau
Anmerkungen
[1] Hier und im Folgenden benutze ich die Einheitsübersetzung
[2] Lutherbibel 2017; Bibel in gerechter Sprache (BgS): „Sie aber – ob sie hören oder es lassen, denn sie sind verschlossen wie ein verschlossenes Haus – werden merken, dass mitten unter ihnen prophetisch geredet wurde.“
[3] Lutherbibel 2017: „Du aber, Menschensohn, fürchte dich nicht vor ihnen, vor ihren Worten fürchte dich nicht! Wenn dich auch Disteln und Dornen umgeben und du auf Skorpionen sitzt, vor ihren Worten fürchte dich nicht und vor ihrem Blick erschrick nicht“
[4] Normalerweise wird eine Schriftrolle nicht beidseitig beschrieben!
[5] https://www.sonntagsblatt.de/artikel/glaube/predigt-bittere-worte-suess-wie-honig-hesekiel-2-33, abgerufen 06.07.2025; Evangelische Morgenfeier am 16.02.2020 mit Pfarrer Hans Christian Kley, Landshut. Thema: Bittere Worte – Süß wie Honig; die folgenden Zitate stammen alle aus dieser Morgenfeier.
[6] Hier enden die Zitate aus der „Morgenfeier“
[7] Petra Pinzler und Bernd Ulrich: Wie ausgestorben. Die Bundesregierung schreibt die Umwelt- und Klimapolitik ab. Sie schadet damit der Bevölkerung – und sich selbst. In: Die ZEIT Nr. 28, 3. Juli 2025
[8] Bis hierhin Hinweise aus dem ZEIT-Artikel von Pinzler und Ulrich, die ihre Liste der problematischen Maßnahmen der Bundesregierung in ihrem Artikel noch verlängern.
[9] Ich lasse den Klarnamen und die genaue Beschreibung weg, um keine Schleichwerbung zu machen
[10] Z.B. der Bericht zur sozialen Ungleichheit 2024 von Oxfam, Inequality Inc.; Lebenslagen in Deutschland.
Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2021; der „Schattenbericht“ Armut in Deutschland, Nationale Armutskonferenz (nak) Berlin, 15.1.2025
[11] Vgl. Zimmerli, Walter: Ezechiel, I. Teilband, Neukirchen 1969, S. VII sowie 115*
[12] Vgl. zu dieser Thematik insgesamt Miggelbrink, Ralf: Der zornige Gott. Die Bedeutung einer anstößigen biblischen Tradition, Darmstadt 2002; die im Detail umstrittenen Wirkungszeiten der im Folgenden genannten Schriftpropheten übernehme ich hier der Einfachheit halber von Miggelbrink.
[13] A.a.O. S. 15
[14] Ebd.
[15] A.a.O. S. 16
[16] A.a.O. S. 17, kursiv i.O.
[17] Ebd.
[18] Vgl. a.a.O. S. 19
[19] Vgl. auch ebd.
[20] Vgl. A.a.O. S. 20
[21] A.a.O. S. 26; vgl. zu den geschilderten Zusammenhängen auch Crüsemann, Frank: Verheißung und Fluch des Reichtums. Ein Kapitel biblischer Theologie, in: Werkstatt Ökonomie (Hg.): „Reichtum und Armut als Herausforderung für kirchliches Handeln". Ein deutscher Beitrag im Umfeld des ABPRODEV- Projektes „Christianity, Poverty and Wealth in the 21st Century, Heidelberg 2002, S. 221-238; Posern, Thomas: „Reichtum und Armut als Herausforderung für kirchliches Handeln". Eine Einleitung, a.a.O. S.11-14; Segbers, Franz: Die Hausordnung der Tora. Biblische Impulse für eine theologische Wirtschaftsethik, Luzern 2002; s. zu dem Themenkomplex auch mehrere Autoren (Posern, Thomas; Kessler, Wolfgang; Dejung, Karl-Heinz; Wartenberg-Potter, Bärbel; Hengsbach, Friedhelm: Publik-Forum Dossier „Teilen macht reich“, in: Publik-Forum Nr. 9, 9. Mai 2003
[22] Miggelbrink S. 25
[23] Vgl. ebd.
[24] Ebd.
[25] Vgl. den Forschungsbericht von Pohlmann, Karl-Friedrich: Ezechiel. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt 2008
[26] S. a.a.O. S. 76 und ff.
[27] Vgl. a.a.O. S. 77
[28] Pohlmann verweist beispielhaft auf Jer 8,19; 14,8f.; Ps 74,11
[29] Perlitt, L: Anklage und Freispruch Gottes. Theologische Motive in der Zeit des Exils, ZThK69 (1972), S. 290-303, hier: S. 296, zitiert nach Pohlmann S. 78
[30] Vgl. die Hinweise auf die Planungen der neuen Bundesregierung und das positive Beispiel aus der Wirtschaft
[31] Lobenstein, Caterina: Das Amt zahlt, Vonovia kassiert. Der Staat gibt unglaubliche Summen aus, um Bedürftigen die Miete zu finanzieren. Wie eine wichtige Hilfe aus dem Ruder lief, in: Die ZEIT Nr. 28, 3. Juli 2025; ich gebe im Folgenden den Zusammenhang stark verkürzt wieder.
[32] A.a.O. S. 13
[33] Der größte Konzern dieser Art in Europa im Besitz von etwa einer halben Million Wohnungen, vor allem in Deutschland (vgl. a.a.O. S. 14)
[34] D.h. als das Wohngeld eingeführt wurde
[35] Ebd.
[36] Wartenberg-Potter, Bärbel: Ein Geschenk Gottes. Reichtum: Quelle von Segen und Gerechtigkeit, in: Publik-Forum Dossier „Teilen macht reich“ (s.o.), S. VI (kursiv i.O.)
[37] Das Beispiel des Wohnraums für Bedürftige hat gezeigt, wie komplex diese Aufgabe ist und dass man mit guten Absichten mitunter das Gegenteil erreicht.
[38] Zur weltweiten Entwicklung vgl. z.B. Oxfam: Bericht zur sozialen Ungleichheit 2024, Inequality Inc.,
- Januar 2024
[39] Zur Entwicklung auf nationaler Ebene in Deutschland vgl. Lebenslagen in Deutschland. Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2021. Außerdem sehr wertvoll der Bericht der Nationalen Armutskonferenz: Schattenbericht: Armut in Deutschland Menschenbilder | Schattenbilder | Zukunftsbilder, Berlin 2025
[40] Häufig wird, durchaus zu Recht, in diesem Zusammenhang auf die katholische Soziallehre verwiesen; weniger bekannt sind in der Öffentlichkeit die protestantischen Wurzeln des modernen Sozialstaates in Deutschland: „Bis in den Vormärz hinein hatten Vertreter des theologischen Rationalismus und Liberalismus eine „soziale
Reformation“ propagiert, die mit der bürgerlichen Rechtsgleichheit auch eine Angleichung der Standesunterschiede anstrebte, jedoch ohne breitere Wirksamkeit“ (Reuter, Hans-Richard: Sozialstaat. Reformation heute. Sozialwissenschaftliches Institut der EKD (SI) Stiftung Sozialer Protestantismus, Hannover 2016, S. 19). Geschichtswirksam wurden die unter Bismarck eingeführten Sozialversicherungen, die gegen den wachsenden Einfluss der Sozialdemokratie gerichtet waren. „Deutschland (wurde) mit der Bismarck‘schen Sozialversicherungs-
Gesetzgebung weltweit zum Pionierland“ (a.a.O. S. 22). Die Anfänge des Sozialstaates in Deutschland verdanken sich in hohem Maße dem Luthertum und der Beratung durch lutherische Ministeriale im preußischen Staatsapparat. „Da der Protestantismus in der wohlfahrtsstaatlichen Gründungsphase zur Konfession der Verantwortungseliten aufgestiegen war, verfügte er auch ohne konfessionelle Parteibildung über sehr weitgehende politische Wirkungsmöglichkeiten“ (a.a.O. S. 22; vgl. die Veröffentlichung von Reuter zu dem gesamten Themenkomplex).