04.01.2026 – 2. Sonntag nach dem Christfest

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Jes 61,1-3(4.9)10-11 Sir 24, 1-2.8-12 (1-4.12-16) Eph 1, 3-6.15-18 Joh 1, 1-18 oder
Joh 1, 1-5.9-14

Nachhaltigkeit wurzelt tief

Die drei Texte zeigen auf unterschiedliche Weise: Nachhaltigkeit beginnt nicht mit unserem Tun, sondern folgt einem natürlichen Prozess, der sich am organischen Wachstum in Gottes Schöpfung orientiert. Von diesen biblischen Bildern können wir lernen: Gerechtigkeit wächst, Weisheit schlägt Wurzeln, das Wort bringt Leben hervor. Nachhaltigkeit wird so zu einer spirituellen Haltung, die sich tief mit dem Leben verbindet – mit der Natur, mit den Mitmenschen, mit den Glaubensüberzeugungen, von denen jede Person geprägt ist. Der Sonntag lädt dazu ein, Nachhaltigkeit als organisches und gottgegebenes Prinzip des Lebens zu erfassen – und so zu einem unverkrampften, aber zielgerichteten Engagement zu finden.

Die drei Texte erzählen davon, dass Nachhaltigkeit mehr ist als ein Konzept – sie ist eine Haltung, die dem Leben dient. Wo Gerechtigkeit wächst, das Licht des Wortes leuchtet und Weisheit Wurzeln schlägt, da geschieht Schöpfungsbewahrung im tiefsten Sinn.

 

a) Gerechtigkeit spriesst wie ein Garten (Jesaja 61, 1-3(4.9)10-11; Evang. Predigttext)

Jesaja 61 ist eine grosse Verheissung für alle, die leiden – es geht um Heilung, Trost und Aufrichtung. Der Text endet mit einem Bild, das die Verbindung von Gerechtigkeit und Natur herstellt: «Denn wie die Erde hervorbringt, was spriesst, und wie der Garten seine Saaten spriessen lässt, so wird Gott der HERR Gerechtigkeit spriessen lassen und Ruhm vor allen Nationen.» (V.11) Gerechtigkeit zeigt sich hier als Frucht – nicht von Macht, sondern von Fürsorge. Am Anfang dieses Wachstumsprozesses steht die Ruach Gottes (V. 1). Sie ist Befähigung und Auftrag zugleich. Sie bewegt Menschen, damit Gerechtigkeit in ihnen und aus ihnen heraus wachsen kann. Die Geistkraft Gottes wirkt, wo und wie sie will – sie setzt den Willen zur Gerechtigkeit frei und richtet den Blick auf die Rechte und Würde der Benachteiligten.

Nachhaltigkeitsbezug: Der Text verknüpft soziale Gerechtigkeit mit natürlichen Wachstumsprozessen. Gerechtigkeit ist kein abstrakter Begriff, sondern so konkret wie Pflanzenwachstum – und ebenso empfindlich. Nachhaltiges Handeln beginnt dort, wo wir Bedingungen schaffen, in denen Gerechtigkeit gedeihen kann. Befähigung und Antrieb dazu ist die Ruach Gottes.

 

b) Weisheit, die sich in der Schöpfung verwurzelt (Jesus Sirach 24, 1-2.8-12; Kath. 1. Lesung)

Die Weisheit spricht: «Ich schlug Wurzeln in einem ruhmreichen Volk, im Anteil des Herrn, seines Erbteils.» (V. 12) Das Motiv der Verwurzelung der Weisheit zieht sich weiter über den Text der Lesung hinaus und entfaltet sich in eindrücklichen Naturbildern: Zeder, Zypresse, Palme, Rosenstrauch, Olivenbaum (V. 13ff). Die Weisheit ist keine Idee, sondern eine göttliche Kraft – lebendig, pflanzlich, wachsend, verwurzelt. Das Buch Sirach versteht Weisheit als Ausdruck von Gottesfurcht und der Beachtung der Gebote der Tora. Die Verbindung von Gesetz und Wachstum eröffnet eine neue Perspektive: Sie schlägt eine Brücke vom als starr empfundenen Gesetzeswort hin zu einer lebensdienlichen, gottgewollten Sorge um das Lebendige. Weisheit ist dort, wo der Wille Gottes neues Leben gedeihen lässt – nicht durch Herrschaft, sondern durch Resonanz mit der Welt.

Nachhaltigkeitsbezug: Weisheit ist in Sirach immer auch Lebenskunst – verbunden mit einem achtsamen, massvollen Umgang mit der Schöpfung. Nachhaltigkeit erscheint hier als kulturelle und spirituelle Qualität: Wer weise lebt, lebt nachhaltig. Und umgekehrt: Wer nachhaltig lebt, wird weise.

 

c) Das Wort, das Leben schenkt (Johannes 1, 1-18; Kath. Evangelium)

Der Johannesprolog eröffnet eine weite Perspektive: Alles ist durch den Logos geworden – Licht, Leben, Welt. «In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.» (V. 4) – das ist mehr als ein theologischer Satz. Es ist eine Einladung zur Ehrfurcht vor dem Leben selbst. Der göttliche Logos erscheint hier nicht als fernes Prinzip, sondern als schöpferische Kraft, die in die Welt hineinwirkt, inkarniert in Jesus Christus.

Der Text legt nahe: Wer die Welt im Licht des göttlichen Wortes sieht, wird sie nicht zerstören. Nachhaltigkeit beginnt mit der Einsicht, dass das Leben nicht uns gehört, sondern Geschenk ist – getragen vom göttlichen Ursprung. Das Wort wurde Fleisch – und ist damit verwoben mit der Welt, ihrer Geschichte und Zukunft.

Nachhaltigkeitsbezug: Der Johannesprolog verbindet Theologie und Kosmos: Wo alles im Wort gegründet ist, wird Ausbeutung zur Gottvergessenheit. Der Einsatz für Klimagerechtigkeit, der Schutz von Biodiversität oder der Kampf gegen soziale Ungleichheit sind dann mehr als ethische Programme – sie sind Ausdruck einer Spiritualität, die das Leben als Licht und Gabe erkennt. Nachhaltigkeit heisst in diesem Licht: mit dem Leben in Resonanz zu stehen – im Glauben, im Handeln, in der Hoffnung.

Pfr. Andreas Bosshard, Ev.-ref. Kirche des Kantons Zürich