01.03.2025 – Reminiszere / 2. Fastensonntag

ev. Predigttext kath. 1. Lesung kath. 2. Lesung kath. Evangelium
Röm 5,1-5(6-11) Gen 12, 1-4a 2 Tim 1, 8b-10 Mt 17, 1-9

Gnade erfahren – das ist weder ein Freibrief zu einem sorglosen, grenzenlosen Leben noch ein Aufruf zu frommer Erstarrung. Im Gegenteil: Die Gnade Gottes ruft uns zum Tun auch und gerade in der Bedrängnis, zur mutigen Hoffnung jenseits aller gemütlichen Religiosität. Im Angesicht einer Weltlage, die Gründe genug zum Fürchten liefert, rufen uns die Texte des heutigen Tages zu: „Du sollst ein Segen sein, geh los und steck den Kopf ja nicht in den Sand!“ Wie das gehen soll? Lassen wir die Texte sprechen:

Röm 5,1-5 (6-11) (evang. Predigttext)

Der Römerbrief, quasi der „Klassiker der paulinischen Gnadentheologie“, versucht uns zu erklären, wie das gehen kann – in einer Welt voller Herausforderungen als Mensch voller Hoffnung und Zuversicht zu leben. In den Versen zwei bis fünf macht der Text dazu einen interessanten Dreischritt auf: Hoffnung, Geduld, Heiliger Geist. Klingt einfach, solange man das Pferd von hinten aufzäumt: Durch den Heiligen Geist, der die Liebe Gottes in uns gießt, haben wir Hoffnung und können ergo geduldig auch Bedrängnisse und Herausforderungen meistern.

Aber – und so realistisch ist auch Paulus – die Lebenswirklichkeit von uns Menschen kennt meist eine andere Reihenfolge. Meist drängen sich Sorgen, Ängste und Ungerechtigkeit in den Vordergrund. Und auch Paulus spricht von Schwäche, Feindschaft, gar Gottlosigkeit. Hier scheint mir der Text in unsere Realität hineinzusprechen: Eine Welt, die das 1,5 Grad Ziel längst gerissen hat, eine Welt, in der Terror, Krieg und Spaltung Überhand nehmen, sie veranlasst dazu, diesen Dreiklang („Hoffnung-Geduld-Heiliger Geist“) aus den Augen zu verlieren. Und ja: Es ist auch menschliches Fehlverhalten, Sünde – persönlich und strukturell –, die in diese Situation hineinführen.

Doch Paulus sieht diese Perspektiven der Angst und Sünde als Perspektiven der Vergangenheit. Offenbar verleiht ihm das, was er Gnade nennt, einen neuen Fokus auf Hoffnung und Geduld. Und das so nachhaltig, dass Bedrängnis und Angst komplett in den Hintergrund treten. Warum? Weil ihm mit „Hoffnung, Geduld und Heiligem Geist“ etwas begegnet, die sich nicht einfach „machen“ lässt, sondern ein Geschenk ist.

Der Text erinnert uns gerade im Angesicht einer von externen Bedrängnissen und Katastrophen heimgesuchten Realität daran: Wir müssen und können nicht alles besser machen. Aber: Wir müssen und können Hoffnung und Geduld bewahren und der Resignation die Stirn bieten.

Gen 12, 1-4a (1. Lesung kath.)[1]

In Genesis 12 befinden wir uns ganz am Anfang der Abraham-Geschichte. Vorangestellt ist in der nachträglichen Komposition der Stammbaum Abrahams. Gerade erst hat sich die Familie von Abraham in Ur in Chaldäa niedergelassen.

Und jetzt? Der erste Satz: „Geh fort aus deinem Land!“ Eine ganz schöne Zumutung. Eine hochaktuelle Zumutung obendrein im Angesicht der Klimakatastrophe. Stellen Sie sich einmal vor, dieser Satz würde beispielsweise einem Bewohner der Kiribati-Insel im Pazifik ins Gesicht geschmettert. Für ihn rückt diese Zumutung mit Sieben-Meilen-Stiefeln näher, je höher klimabedingt der Meeresspiegel ansteigt. Geh fort aus deinem Land – eine bittere Realität.

Freilich, im Text ist von einer solchen Realität keine Rede. Und dennoch kann die Perspektive, die der Text in der Folge eröffnet, auch in die bittere Klimarealität hineinsprechen. Es heißt dort: „Ein Segen sollst du sein. Ich werde segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den werde ich verfluchen. Durch dich sollen alle Sippen der Erde Segen erlangen.“

Stellen wir uns diesen Text noch einmal im Horizont eines Bewohners der Kiribati-Insel vor, dann verleiht er ihm eine Stimme und Wichtigkeit, die die Weltgesellschaft ihm faktisch nicht zukommen lässt. Gott segnet ihn und gibt ihm damit die Macht, ebenfalls Segen zu verbreiten – oder aber Verwünschungen zu erwidern. Gott stellt sich hier auf die Seite derer, die unterwegs sind, die heimatlos zu sein scheinen. Er eröffnet im Text nicht nur eine Perspektive auf eine neue Heimat, ein „Land, das ich dir zeigen werde“, sondern gibt auch dem Weg dorthin eine eigene Wertigkeit.

Unter dieser Perspektive können wir uns fragen: Wie betrachten wir in unserer Gesellschaft (Klima-)Flüchtlinge? Welchen Einfluss gestehen wir ihnen zu? Lassen wir sie einen aufrüttelnden Segen sein, lassen wir uns von ihnen warnen vor den Folgen eines ausbeuterischen Lebensstils? Oder verwünschen wir sie als lästige „Fremde“, deren Realität wir bewusst ausblenden wollen?

2 Tim 1, 8b-10 (2. Lesung kath.)

Der Timotheusbrief bricht die oben genannten Perspektiven auf die Bedrängnisse durch die Klimakrise sozusagen auf einen Gemeinde- und Glaubenskontext herunter. Als pseudepigraphischer Paulusbrief richtet sich der Brief insbesondere an Gemeindeleitungen. Immer wieder ist im Briefverlauf von einer „Lehre“ die Rede, die der Brief eröffnet und für die die Adressierten eine Vorbildfunktion einnehmen sollen. Der Verfasser versucht zu verdeutlichen, was Christ:in Sein im Alltag angesichts einer im Text vorausgesetzten nahen Erwartung der Wiederkehr Christi bedeutet.

Im vorliegenden Abschnitt wird dabei deutlich: Wenn wir die Position des Evangeliums einnehmen, die Schwache in den Mittelpunkt stellt und Bedrängnisse und Sünde sieht, sie aber zugleich unter einem ganz neuen Horizont – Gottes gnadenhafter und liebender Zuwendung – betrachtet, dann ecken wir mitunter an. Viel zu bequem ist es für einen großen Teil der Gesellschaft, bedrängte Personen und bedrängende Realitäten auszublenden (siehe oben!).

Der Brief nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Herausforderung dieser Aufgabe geht. Zugleich ermutigt er seine Leser:innen und traut ihnen zu, die „unbequeme“ Perspektive des Evangeliums einzunehmen: „Leide mit mir für das Evangelium. Gott gibt dazu die Kraft!“. Glauben wir also mit und für alle Bedrängten weiter an das Leben, das von Gott kommt und bleiben standhaft in der lebensfreundlichen Perspektive, die er auch im Angesicht von Bedrängnis und Ungerechtigkeit einnimmt und uns auffordert, einzunehmen.

Mt 17, 1-9 (Evangeliumstext kath.)

Der heutige Evangeliumstext erschließt sich im Gesamtkontext des vorangegangenen 16. Kapitels des Matthäusevangeliums. Immer wieder geht es da um die Identität und Bedeutung Jesu für seine Jünger und die Welt. Immer wieder zeigen sich die Jünger als unverständige und zugleich motivierte Nachfolger:innen. Jesus fragt, für wen ihn die Menschen halten (Mt 16,13), die Jünger referieren die Vielzahl der Meinungen (Johannes der Täufer, Eilija, einen der Propheten…). Auf die Frage hin, für wen die Jünger ihn hielten, prescht Petrus vor und antwortet „musterschülerhaft“: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16,16). Hat er verstanden, was das bedeutet? Auf die folgende Ankündigung von Leiden und Sterben Jesu reagiert er jedenfalls eher unangemessen („Das soll Gott verhüten, Herr!“ (Mt 16,22)).

Und damit sind wir mitten im Kontext des heutigen Abschnitts: Nachfolgemotivation vs. Unverständnis – so könnte man auch die Verklärungsgeschichte überschreiben. Die Erscheinung, die Petrus, Jakobus und Johannes erleben, sie könnte und sollte nochmal die Augen öffnen: In Jesus erfüllt sich, was durch Mose im Gesetz offenbar wurde und was die Propheten – hier Elija – verheißen haben. Er ist Dreh- und Angelpunkt der Heilsgeschichte. Und das im Hier und Jetzt der Jünger – in der wenig vorher erzählten Speisung der Vielen, in Jesu Zuwendung zu Armen und Kranken, in seinem Anecken gegenüber den religiösen Eliten seiner Zeit.

Statt aber vom Berg herunterzustürmen und sich ihrerseits den Bedrängten zuzuwenden, stellt sich sowas wie eine „fromme Erstarrung“ bei Petrus und seinen Begleitern ein. Schnell soll ein Kultort errichtet werden. Schnell soll das Erfahrene festgehalten, manifestiert und angebetet werden. Jesus löst die Situation direkt wieder auf und navigiert sie vom Berg hinunter.

Der Text kann auch uns fragen: Wo ist unser Christsein mehr fromme Fassade und imposant anmutender Berg als konkrete Zuwendung zu den Herausforderungen unserer Zeit?

Dr. Hannah Judith, Erzbistum München und Freising


[1] Hinweis: Mit Blick auf Themen der Nachhaltigkeit und einen Fokus auf die Klimakatastrophe empfiehlt es sich insbesondere im Reigen der drei katholischen Lesungstexte, den Fokus auf die erste Lesung (Gen 12, 1-4a) zu legen und die zweite Lesung sowie das Evangelium als erklärende Einrahmung zu lesen. Es empfiehlt sich ob der Dichte des Inhalts dagegen eher nicht, alle hier ausführlich aufgeführten Überlegungen zu gleichen Teilen bzw. insgesamt in eine einzige Predigt zu übernehmen.