Reformationstag
| ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. Evangelium |
| Mt 5,1-10(11-12) | Röm 8, 18-25 | Lk 13, 18-21 |
Mt 5,1–12
«Selig die Armen – im Geist»: Geht es in der ersten Seligpreisung um Demut und Einfachheit (vgl. V 6: Selig die hungern und dürsten – nach der Gerechtigkeit)? Im Geist arm zu sein und nach Gerechtigkeit zu hungern, das kann auch bedeuten, verzweifelt zu sein aufgrund einer schweren Lebenssituation: Vielleicht ist es die Verzweiflung über eine zerbrochene Beziehung oder über eine bösartige Krankheit, die Schmerzen verursacht und unerträgliche Angst. Oder jemand hat keinen Mut mehr, weil er oder sie ohne Erwerbsarbeit ist, eine Perspektive fehlt und das Scheitern mit aller Härte spürbar ist. Oder hungernde Menschen verlieren alle Lebenskraft, Flüchtende (V 10) haben keine Hoffnung mehr.
Diesen mutlosen und verzweifelten Menschen verheisst Jesus, überaus glücklich und im Besitz des Himmelreichs zu sein. Jesus spricht die Worte auf dem Berg als einer, der unten am Berg verzweifelten Menschen neuen Mut schenkt, Kranke heilt, Hungernde sättigt und Ausgestossene in die Gemeinschaft führt.
Das Reich der Himmel aus der ersten Seligpreisung wird in V 5 durch das Land kontrastiert, das den Gewaltlosen als Erbe zugesprochen wird: Genauso wie Jesus den Himmel verheisst, kann er auch die Erde versprechen.
Während die einen Seliggepriesenen über ihre Not definiert sind, sind es die andern über ihr Tun. Hier sind diejenigen, die sich nach Gerechtigkeit sehnen, und dort jene, die gerade um dieser Gerechtigkeit willen verfolgt werden, und mitten drin in V 7 spricht Jesus selig, wer Barmherzigkeit übt, und verheisst ihnen: sie werden Barmherzigkeit erlangen: Was sie tun, wird ihnen selbst zuteil.
Der Zuspruch an die Tätigen könnte leer klingen wie ein frommer Wunsch, wissen wir doch nur allzu gut, dass nicht den Gewaltlosen die Erde gehört, sondern gerade denen, die Macht an sich reissen und Gewalt üben. Auch machen wir nicht selten die Erfahrung, dass den Barmherzigen selbst gerade keine Barmherzigkeit widerfährt, sondern dass sie oft über den Tisch gezogen werden.
Der hier andere selig spricht, weicht selbst den Widersprüchen dieser Welt nicht aus. Jesus übt Gewaltlosigkeit, steht für Gerechtigkeit ein, erweist anderen seine Barmherzigkeit, und er setzt sich damit bis ins Äusserste Gewalt, Ungerechtigkeit und erbarmungslosem Hass aus. «Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten», spotten sie unter dem Kreuz (Mt 27,42).
In der Beziehung zwischen Jesus und denen, die ihm zuhören und sich das Zugesprochene gesagt sein lassen, erhalten die Seligpreisungen eine unmittelbare, verändernde Kraft. Menschen stellen sich in den Dienst einer Welt ohne Gewalt, suchen Gerechtigkeit, sind barmherzig und stiften Frieden. Als Gemeinschaft von Trauernden und Tröstenden, von Friedenstiftenden und Gewaltlosen, von nach Gerechtigkeit Hungernden und um der Gerechtigkeit willen Verfolgten sind wir von Gott gerettet, wie wir Gott retten.
Röm 8,8–15
Paulus stellt dem Geist der Knechtschaft den Geist der Kindschaft gegenüber (V 15), Gottes Geistkraft, die uns «treibt» (V 14), in uns wirkt und uns bewegt zum «Leben um der Gerechtigkeit willen» (V 10). Es ist ein verbindender Geist. Nicht nur verbindet er die Kinder Gottes untereinander zu gemeinsamen «Miterben Christi» (V 17), auch verbindet er die Miterben mit dem Haus und dem Land, das sie erben. Paulus zieht den Gedanken noch weiter: In sehnsüchtigem Verlangen wartet die Schöpfung auf das Offenbarwerden der Söhne und Töchter Gottes (V 19). Sie stöhnt und liegt in Geburtswehen, bis zum heutigen Tag (V 22).
Die Welt stöhnt in diesem Bild – und wir hören, wie sie ächzt. Manchmal scheint es, dass nur wenig fehlt und sie auseinanderbricht. Menschen leiden und es leidet ihre Mitwelt, Tiere und Pflanzen, von den Tiefen des Ozeans bis zu den Höhen der Gletscher. Paulus bringt in dieses Stöhnen eine Perspektive der Hoffnung. Wir müssen nicht nach dem Fleisch leben und sind nicht seinen Zwängen verpflichtet (V 12), sondern können als Kinder Gottes in neue Beziehungen treten zu uns selbst, unsern Nächsten und unserer Mitwelt. Es geht um einen Bewusstseinswandel, wie ihn die Klimajugend fordert, einen Aufbruch in gemeinsamer Verantwortung. Wer daran glaubt, dass dieser Aufbruch möglich ist, hört im Stöhnen der Schöpfung ein Stöhnen in Geburtswehen. Neues bricht an – nicht in ferner Zukunft, sondern hier und jetzt.
Lk 13,18–21
Mitten in der Welt tragen sich die Kurzgeschichten zu, mit denen Jesus vom Himmelreich erzählt. Es sind keine Geschichten aus entrückten Sphären, keine fiktiven Bilder einer fremden, unvorstellbaren Welt, sondern alltägliche Begebenheiten: Schaut, wie aus dem winzigen Samen ein grosser Baum wird, und beobachtet, wie der Sauerteig drei Scheffel Mehl durchsäuert! Gottes Himmelreich ist eine Welt, die viel mit unseren alltäglichen Erfahrungen zu tun hat, damit, was sich in der Natur und in der Kultur zuträgt. Gottes Reich ist keine Zauberei, sondern sein Kommen verläuft nach den Gesetzmässigkeiten dieser Welt: Aus einem kleinen Anfang wächst eine umfassende Wirklichkeit, in der Leben sich entfaltet.
Bei beiden Erzählungen agiert ein Mensch und «nimmt» den Anfang auf: Einer nimmt das Senfkorn und sät es in seinen Garten, eine Frau nimmt den Sauerteig und mischt ihn unter drei Scheffel Mehl. Den Faden aufnehmen, den Anfang von Gottes Reich weiterspinnen. Zusammen mit dem Unbekannten säen wir Samenkörner in unsere Gärten und mischen zusammen mit der Hausfrau Sauerteig unter das Mehl. Das Reich Gottes in einen Kontext einführen, wo es wächst und sich entfaltet; in den Kontext der Klimakrise, in den Kontext flüchtender Menschen, in den Kontext sozialer Not. Wir mischen mit in der Welt.
Dr. Esther Straub, Reformierte Landeskirche Zürich