Quinquagesimae - Estomihi / 7. Sonntag im Jahreskreis (19.02.23)
Quinquagesimae - Estomihi / 7. Sonntag im Jahreskreis
ev. Predigttext | kath. 1. Lesung | kath. 2. Lesung | kath. Evangelium |
1 Kor 13,1-13 | Lev 19, 1-2.17-18 | 1 Kor 3, 16-23 | Mt 5, 38-48 |
Zeitliche Einordnung
Der Sonntag Quinqugesimae-Estomihi ist der 7. Sonntag im Jahreskreis und gleichzeitig der Fastnachtssonntag. Die lateinische Bezeichnung im evangelischen Kontext weist einerseits auf die Stellung im Kalender hin: „Der fünfzigste" (Tag vor Ende der Osterwoche) und auf den Eingangsvers aus Psalm 31, 3b: „Sei mir ein schützender Fels, / ein festes Haus, mich zu retten!"
Der folgende Montag, 20. Februar 2023, Rosenmontag, ist zugleich auch der Welttag der Sozialen Gerechtigkeit, den die UN 2009 das erste Mal beging. Seitdem wird jährlich am 20. Februar an die soziale Ungerechtigkeit weltweit erinnert und zu ihrer Überwindung aufgerufen.
1. Kor 13,1-13
Dieser Text gehört zu den Klassikern der Hochzeitslesungen, weil er so romantisch scheint. Dabei hat die Liebe, von der Paulus hier spricht, wenig mit romantischer Verliebtheit zu tun. Im griechischen Original wird das Wort „agape" verwendet, was man auch mit „Nächstenliebe" oder „Menschenfreundlichkeit" übersetzen könnte. Die Beschreibung der Liebe in 1 Kor 13 kann verstanden werden als eine Handlungsanweisung für ein menschwürdiges, freundliches und friedliches Zusammenleben in Gemeinschaften. Wenn alle in diesem Sinne liebevoll handelten, wäre die Welt eine gerechtere. Das schließt Romantik nicht aus, ist aber nicht der Fokus.
Im zweiten Teil weist Paulus darauf hin, dass alles irgendwann zu Ende geht. Auch die herausragenden Begabungen verlieren sich und am Ende bleiben die drei göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe. Paulus mahnt die Hörer:innen, dass wir Menschen nicht überheblich sein sollen, da auch die klügste Erkenntnis eben nur „Stückwerk" ist. Wir haben nicht den Überblick und können nicht immer die Folgen unserer Handlungen und Entscheidungen absehen – das erkennen wir im Nachhinein und manchmal erst Generationen später (wie man besonders im Bereich „menschliche Eingriffe in Ökosysteme" leidvoll erfahren musste). Vollkommene Erkenntnis gibt es nur bei Gott – das sollte uns bescheiden und demütig unsere Überlegungen anstellen und immer mit dem Vorbehalt, dass wir nicht alles wissen.
Diese Gedanken lassen sich mit Blick auf Nachhaltigkeit ausfalten: Wenn ich „liebevoll" im Sinne des Paulus handele, setze ich mich konsequent für soziale Gerechtigkeit ein. Ich kämpfe für einen fairen Ausgleich weltweit, weil ich andere Menschen als Geschwister sehe und mit meinen Handlungen weder meinen Vorteil noch mein Recht im Sinn habe. Ich setze mich auch dann noch dafür ein, wenn schnelle Erfolge ausbleiben oder mich andere anfeinden, denn die Liebe „ist langmütig" und „lässt sich nicht zum Zorn reizen". Diese Liebe ist so gesehen der Grund, auf dem alles aufbaut: Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden brauchen die Menschenfreundlichkeit als Grundlage. Sonst nützt weder Sprachgewandtheit noch „prophetische Rede" noch die größte Glaubenskraft etwas. Selbst der Märtyrertod bliebe dann sinnlos.
Dabei ist die Hoffnungsperspektive klar: Bringe ich Liebe auf, ist alles möglich. Es gibt auch niemanden der zu klein oder zu schwach wäre. Jede Tat, die in Liebe geschieht ist gut!
Levitikus / 2. Buch Mose 19, 1-2.17-18
Hier formuliert Gott einen ganz schön hohen Anspruch: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig". Wer zu Gott gehören will und sich ihm nähern will, soll „heilig" sein. Das klingt erstmal nach Überforderung – wer ist schon heilig?
In den folgenden Versen folgt die Konkretisierung. Sie wird in der Leseordnung ausgelassen, macht aber anschaulich, worum es geht. In VV 3-16 folgt eine Wiederholung der zehn Gebote und es werden ganz konkrete, praktische Anweisungen ergänzt: »Du sollst deinen Nächsten nicht ausbeuten und ihn nicht um das Seine bringen. Der Lohn des Tagelöhners soll nicht über Nacht bis zum Morgen bei dir bleiben. Du sollst einen Tauben nicht verfluchen und einem Blinden kein Hindernis in den Weg stellen; vielmehr sollst du deinen Gott fürchten. Ich bin der HERR. Ihr sollt beim Rechtsentscheid kein Unrecht begehen. Du sollst weder für einen Geringen noch für einen Großen Partei nehmen; gerecht sollst du deinen Mitbürger richten.« (VV 13-15) – Es gipfelt in V 18b in dem grundsätzlichen Gebot der Nächstenliebe. Dabei kann man „wie dich selbst" auch übersetzen mit „Er ist wie du".
Der Duktus ist ähnlich wie in 1 Kor 13,1-13: Menschenfreundlichkeit ist die Basis von allem. Wenn ich anerkenne, dass mein Mitmensch so ist wie ich und wir beide Abbilder Gottes sind und damit heilig, dann kann ich nicht anders als mich für ihn einzusetzen. Ich werde ihn weder ungerecht behandeln noch ihm etwas Böses antun. Noch nicht einmal nachtragend sollte ich sein – denn „er ist wie du"! Auch mir passiert ein Missgeschick, auch ich vergreife mich mal im Ton – also sollte ich es jemand anderem nicht heimzahlen.
Wenn ich doch einmal sauer auf jemanden bin, dann soll ich es ihm sagen – auch das steht schon im Alten Testament. Und die moderne Konfliktforschung weiß, dass es eine Sache nur schlimmer macht, wenn eine Kränkung oder eine Missstimmung dauerhaft unter den Teppich gekehrt wird. Ich darf meinen „Mitbürger" also „zurechtweisen" – aber auch hier in angemessener Weise – so wie ich Kritik gerne hören würde, denn er ist wie ich.
Dialogprozesse spielen in der Konfliktbewältigung eine zentrale Rolle. Nicht immer kann man Konflikte vor Gericht lösen. Oft hilft ein Dialog oder eine Mediation. Entscheidender Unterschied dabei ist: Es geht nicht ums Rechthaben, sondern darum, eine gute Lösung zu finden. Gerechtigkeit herstellen, könnte man auch sagen.
Wenn ich den anderen höre, und selbst gehört werde, dann ist ein Zusammenleben nach einem Konflikt besser möglich. Ein weiterer Konflikt wird vielleicht sogar vermieden – deshalb ist es eine Schuld oder Sünde, jemandem etwas nachzutragen und den Groll nicht zu thematisieren.
1 Kor 3, 16-23
Dieser Textabschnitt scheint zunächst nicht ganz in das Thema zu passen – es geht nicht offensichtlich um Nächstenliebe. (Das liegt auch an der Systematik der Leseordnung, die an den Sonntagen im Jahreskreis, die zweite Lesung aus den Briefen als fortlaufende Lesung, sog. „Bahnlesung" aufnimmt.) - Es geht um Selbstliebe und um ein gesundes Selbstbewusstsein. Selbstliebe und Nächstenliebe gehören zusammen, deshalb ergeben sich dennoch Anknüpfungspunkte.
„Denn Gottes Tempel ist heilig und der seid ihr" – Was für eine Zusage! Ich bin Gottes Tempel – ein Ort für Gottes Liebe und Weisheit. Wenn ich so einen Satz höre, wachse ich. Ich fühle mich wertvoll. Mein Selbstbewusstsein wächst.
Allerdings darf das nicht zur Selbstüberschätzung führen. Gottes Weisheit ist immer größer und das sollte ich mir bewusst machen. Gleichzeitig „gehört mir alles". Ich habe Einfluss auf die Gegenwart und Zukunft – aber es bringt nichts, sich auf bestimmte berühmte Lehrer zu berufen, denn auch ihr Wissen bleibt „Stückwerk" (vgl. 1 Kor 13) und vor Gott ist ihre Weisheit unbedeutend.
Gerade auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit gibt es viele (selbsternannte) Experten und auch seriöse Wissenschaftler, die zum Teil sehr unterschiedliche Positionen vertreten. Nicht immer akzeptieren diese „Weisen" andere Meinungen und Einschätzungen.
Besonders auch Politiker:innen neigen manchmal dazu, eine Meinung zu vertreten, sie vielleicht gar absolut zu setzen und die Demut zu vergessen, dass ein Irrtum möglich ist.
„Wer sich beraten lässt ist klug" (Spr 13,10) heißt es an anderer Stelle der Bibel. Eine Beratung ist der erste Schritt aus der Selbstverliebtheit hinaus – auch andere Meinungen oder Vorschläge sollen gehört werden.
Evangelium Mt 5, 38-48
Jesus geht in seinen Forderungen über die althergebrachten Regeln des alten Bundes hinaus. In der Bergpredigt, aus der dieser Abschnitt stammt, verschärft Jesus ein ums andere Mal die Maßstäbe und Regeln des Alten Testaments. Die Radikalisierung gipfelt im Gebot der Feindesliebe. (V 44): Nicht nur meine Mitmenschen im Allgemeinen soll ich lieben – nein, sogar diejenigen besonders, die mir etwas Böses wollen.
In V 45 wird wiederum auf Gott verwiesen, der auch Böse und Gute gleichbehandelt. Hier (und in den folgenden Versen, bes. V 48) klingt die Forderung nach Heiligkeit aus Levitikus / 3. Mose 19, 2 an.
Es ist eine Herausforderung – vielleicht die Herausforderung – für Christinnen und Christen: Ihr Christsein so zu leben, dass die gesellschaftlichen Maßstäbe von „gerechter Strafe" oder Rache überwunden werden. Gott ist das Vorbild: Er lässt über alle regnen. Gott ist die Liebe, deshalb ist er langmütig, treu und menschenfreundlich. Und weil er Gott ist, ist er vollkommen.
Die Forderungen und Maßstäbe der Bergpredigt sind die Konkretisierung des Reiches Gottes. Wenn ich es schaffe, so zu handeln, dann ist das Reich Gottes an diesem Ort zu diesem Zeitpunkt schon Wirklichkeit.
Da liegt die Latte hoch – und ich bin nicht sicher, ob ich das erreichen kann. Aber ich will es immer wieder versuchen, mein Handeln nach dieser Latte auszurichten und mich darin zu üben, vollkommener zu werden – ohne mich dabei selbst zu verlieren. Denn ich soll meinen Mitmenschen lieben „wie mich selbst" – die Selbstliebe darf dabei nicht verloren gehen. Sie gehört zur gesunden Balance dazu: Gottesliebe UND Menschenliebe (und zu den Menschen gehöre ich und meine netten Nachbarn und eben auch die bösen Menschen).
Weitere Hinweise:
Informationen zum Welttag der sozialen Gerechtigkeit:
https://www.un.org/en/observances/social-justice-day (22.7.2022)
https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/327336/welttag-der-sozialen-gerechtigkeit
Passende Lieder:
Wenn ich alle Sprachen dieser Welt sprechen könnte (GL 874, Eigenteil Bistum Mainz)
Lass es Liebe sein (Rosenstolz)
Eva Reuter, Mainz