Schwerpunktthema 2022/23 "Frieden und Heilung"
Hinweis: Das jährliche Schwerpunktthema bietet zusätzliche Hintergrundinformationen zum Zusammenhang "Kirche, Christsein und Nachhaltigkeit". Die Predigtimpulse selbst im jeweiligen Kirchenjahr sind nicht an das Schwerpunktthema gekoppelt.
Frieden und Heilung
Schwerpunktthema im Kirchenjahr 2022/2023
Unser aktuelles Schwerpunktthema nimmt die aktuellen Verwerfungen in den Blick, die ein friedliches Miteinander auf dem Planeten Erde unmöglich machen. Welche christliche Kraft bzw. Haltung kann diese Verwerfungen heilen? Gibt es etwas typisch Christliches, das uns die Spur aufzeigt? »Bei Gott gibt es keine Fremden« - mit diesem Satz setzte Bischof Papias aus Ruanda bei einem Vortrag in Radolfzell im November 2022 einen wichtigen Akzent. Seine Großmutter hatte ihm so erklärt, was das Besondere am Christentum ist: keine Fremden, sondern Brüder und Schwestern.
Diese Verwerfungen sind mit dem Krieg in der Ukraine auch in Europa in spürbare Nähe gerückt. Sie wirken sich über Rohstoffengpässe, gestiegene Energiepreise und ausbleibende Weizenlieferungen in der ganzen Welt aus, in Verbindung mit Spekulationen auf kriegsbedingte Gewinnexplosionen für einzelne Branchen. Das »heile« Weltbild steht auf einmal zur Disposition. Aber auch der Krieg gegen die Natur - Artensterben und Urwaldrodung - schreit nach einer heilenden Kraft. Unsere Treibhausgase lassen bewohnte Inseln im Meer verschwinden. Andere Inseln ersticken stattdessen in dem Plastikmüll, den die Industrienationen in den Handel bringen. Friedlich zu sein ist eine christliche Grundhaltung und die Heilung der Beziehungen das Ergebnis dieser Haltung - ein starkes Potenzial, das der christliche Glaube beinhaltet. »Bei Gott gibt es keine Fremden.«
Eigentlich ...!
Mit dem Schwerpunktthema des aktuellen Kirchenjahres wird versucht, dieses christliche Heilungspotenzial besser auszuleuchten.
Shalom!
Annette Behnken, Studienleiterin für Religiöse Praxis in der Gegenwartskultur an der Ev. Akademie Loccum (Ev. Landeskirche Hannovers; Foto: Christine Racka):
Shalom ist ein Gruß und eine Abschiedsformel in Israel, unter Jüdinnen und Juden. Ein einziges Wort, das ganz viel sagt. Mehr als tausend mal tausend Worte: Shalom. Friede. »Friede sei mit dir!« – Kenn' ich als Gruß nur aus Gottesdiensten. Wie würde es sich anfühlen, wenn ich ab jetzt meine Freundinnen so begrüße? Den Kollegen in der Kaffeepause? Die Frau, die die Post bringt. Den Busfahrer. Wie würde es sich anfühlen, wenn ich so begrüßt und verabschiedet würde: »Friede! Friede sei mit Dir!«
Friede. In seinem weitesten und tiefsten Sinn. Höher als alle Vernunft. Größer und tiefer, als mein Verstand es fassen kann. Viel mehr, als die Abwesenheit von Gewalt und Krieg. Das auch. Aber Shalom meint auch so etwas wie: erfülltes Leben. Zutiefst friedeerfüllt an Leib und Seele sein. Zuinnerst befriedet. In einem guten Gleichgewicht.
Ein anderes Wort, das ganz viel sagt. Es stammt aus der Sprache des indigenen Volks der Hopi: Koyaanisqatsi. Bedeutet übersetzt so viel wie: Leben in einer Welt, die aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Das Ungleichgewicht der Welt – wir haben es vor Augen. Eine der ganz großen Wunden, die wir dem Gleichgewicht der Welt geschlagen haben, ist die Armut, die so unglaubliches Leiden für so viele Menschen bedeutet. Und nicht nur das. Sie bietet Despoten eine Flanke zum Angriff auf die Menschlichkeit, die Armut und Hunger aufs perfideste als Kriegswaffe benutzen. Für viele Menschen auf der ganzen Welt bedeutet der Ukraine-Krieg die absolute Katastrophe, auch wegen einer zu erwartenden massiven Hungerkrise. ... (hier geht es zur Fortsetzung)
(Der Text ist erschienen in: andere zeiten – Das Magazin zum Kirchenjahr, Heft 3/2022, Hamburg, Andere Zeiten e.V., www.anderezeiten.de, auf »nachhaltig predigen« mit Erlaubnis des Verlags und der Autorin veröffentlicht).
Kommunikation und innere Haltung; Räume schaffen!
Dr. Cornelia Johnsdorf, Kirchlicher Entwicklungsdienst (KED), Ev. Landeskirche Hannovers: In der Arbeit mit internationalen Studierenden, aber auch mit den Engagierten aus Gemeinden Initiativen erleben wir als KED sehr deutlich, wie unterschiedlich die Sichtweise auf das Thema Frieden ausfällt. Menschen aus Bürgerkriegsregionen und gewaltsam ausgetragenen Konflikten sprechen dazu völlig anders als solche, die dies nur aus den Nachrichten und Medienberichten kennen. Und damit sind wir schon mittendrin, in dem, was wir als programmatisches Lernen und Verstehen bezeichnen.
Wir brauchen eine innere Haltung, die die unterschiedliche Ansicht des Gegenübers aushält. Wir benötigen dringend eine Kultur der Kommunikation, in der Kompromisse erarbeitet werden können – und nicht als „faul" abgewertet werden. Überdies muss das Kommunizieren von Freundlichkeit im Umgang getragen werden und weitaus weniger von aufgeregter Empörung und gezielt beleidigender Abwertung.
Gerade als Kirchen sollten wir buchstäblich Räume anbieten, in denen unterschiedliche Positionen ausgetauscht werden – und zwar nicht als ein rein akademisches Gespräch, sondern durchaus als ein Prozess, der Auseinandersetzung und Annäherung ermöglicht. Die persönliche Begegnung und das gut und erfolgreich moderierte Gespräch tragen dazu erheblich bei.
Ganz klar wird dabei, dass es nicht eine richtige Position auf strittige Themen gibt. In den jeweiligen Kontexten muss diese immer wieder neu erarbeitet werden, und die Beteiligten lernen immer wieder neu dazu.
Jesu Botschaft: Ein Frieden, der den ganzen Menschen erfasst.
Schwester Marie-Salome, Kloster Hegne: Frieden und Heilung - zwei Begriffe, die erst einmal so nebeneinander stehen, allerdings schon verbunden durch das kleine Wörtchen „und". Doch was haben diese Worte wirklich miteinander zu tun und in welcher Verbindung stehen sie zu einander? Eine Frage, die ich mir im Blick auf das Schwerpunktthema in diesem Jahr gestellt habe. Ein erster Gedanke dazu: Beides sind Begriffe, die zu tiefst mit der Botschaft Jesu verbunden sind. So grüßt Jesus seine Jünger nach dem Ostermorgen stets mit genau diesem Gruß: Friede – Schalom! Ein Friede, der mehr meint, als nur äußeres Niederlegen von Streitigkeiten. Er wünscht einen Frieden, der den ganzen Menschen erfasst. Einen, der das Innere und das Äußere des Menschen berührt. Friede im Sinne Jesus heißt aber nicht, jede Ungerechtigkeit wehrlos zu ertragen und sich alles gefallen zu lassen. Friede in seinem Sinn heißt immer auch Einstehen für den Menschen und eben gegen das, was unrecht ist, Standpunkt zu beziehen. Friede im Menschen kann nur dann herrschen, wenn dieser mit dem, was er tut im Einklang ist. Und genau da berührt sich Jesu Vorstellung von Frieden mit seinem Wunsch nach Heilung für den Menschen. Auch hier in den vielen Heilungsgeschichten der Bibel erfahren wir immer wieder, dass Jesus auf den ganzen Menschen schaut: auf das, was außen ist und auf das, was in ihm ist, was er in seinem Herzen bewegt. Beidem soll Heil geschenkt werden. In diesem Angesehen werden durch Jesus und in dem Geschehen-Lassen des Menschen liegt also Friede und Heil. Aber das heißt nicht, dass wir nur noch die Hände in den Schoß legen und warten. Nein, denn in der Begegnung Jesu mit Menschen geht es immer um ein Miteinander, um eine Begegnung auf Augenhöhe: Der Mensch der in sich Sehnsucht spürt, der es zulässt sich darin selbst anzuschauen und dies Gott zeigt, damit auch er einen Blick drauf legt. Frieden und Heilung gehen nicht am Menschen vorbei, sondern geschehen durch ihn: In der Begegnung mit anderen Menschen und mit Gott. In einem Blick kann beides liegen: Frieden und Heilung – für mich und für den, den ich anschaue.
„Frieden, Heilung und Frauen"
Prof'in i.R. Dr. Agnes Wuckelt, Paderborn; stv. Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands e.V. (kfd): „HABT DEN MUT, DEN ERSTEN SCHRITT ZU TUN. WERDET FRIEDENSFINDERINNEN!" – so lautet ein Aufruf auf der Webseite des Bundesverbands der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands. Was ist eine Friedensfinderin? Sie hat ein ehrliches Interesse an dem, was andere Frauen glauben und was ihnen wichtig ist. Sie sucht den interkulturellen und interreligiösen Dialog.
Einen Dialog, der auf Zukunft ausgerichtet ist und in dem Zukunft gemeinsam gedacht und gestaltet wird. Frauen sind es gewohnt, Kontakte zu knüpfen und auf pragmatische Weise Hindernisse zu überwinden und Probleme zu lösen. Im interreligiösen Dialog können sie einander helfen, die je eigene Religion besser zu verstehen. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erkennen, ist eine Grundlage für Vertrauen und ein friedvolles Miteinander. Das Wissen voneinander nimmt Ängste und vermittelt Nähe; es kann heilende Wirkung haben, wo vorher Desinteresse gegeben war, Vorurteile bestanden oder gar Verletzungen zugefügt wurden.
Dieser Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zeigt darüber hinaus, gerade im Kontext kapitalistischer Globalisierung, wie notwendig interreligiöse und interkulturelle Dialog- und Verständigungsprozesse sind. Sie beleuchten die Strukturen, die die Verhältnisse von Frauen in unterschiedlichen Zusammenhängen und Herkünften bestimmen. Um zu Frieden und Heilung zu finden, ist der kritische Blick notwendig, der Sexismen, Rassismen und Unterdrückung und damit Ungleichheiten auch zwischen Frauen deutlich werden lässt. Er ist Voraussetzung dafür, visionäre Perspektiven erarbeiten und Handlungsmöglichkeiten zur Transformation von Lebensbedingungen schaffen zu können.
Bei der Suche nach Frieden und Heilung stellt sich nicht die Frage, ob wir uns diesen Dialog leisten können, sondern ob wir es uns leisten können, darauf zu verzichten.
Friedliche Welt: »Si vis pacem ...«
Dr. Franz Alt, für »nachhaltig predigen« mit sonnigen Grüßen: Seit mehr als 2000 Jahren gilt auf der ganzen Welt der altrömische Grundsatz „Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten". („Si vis pacem, para bellum"). Ergebnis: 2000 Jahre immer wieder Kriege, Massenmord, unermessliches menschliches Elend und Leid, brutale Zerstörungen und Millionen Menschen auf der Flucht. Solange wir Kriege vorbereiten, werden sie auch geführt werden. Das ist natürlich im Interesse der Waffenindustrie. Waffenproduzenten sind eher am Krieg als am Frieden interessiert. Ganz in diesem Geist fordern die Verteidigungsminister aller reichen NATO-Staaten immer wieder: „Mehr Geld fürs Militär". Wir stecken bis heute in der Kriegsfalle, die uns zuflüstert: „Frieden schaffen mit immer mehr Waffen". Die 27 europäischen NATO-Länder hatten 2019 einen mehr als doppelt so hohen Rüstungsetat als Russland. In Deutschland wurde – am Beginn des Ukraine-Kriegs - 2022 beschlossen, einen militärischen Sonderfonds von 100 Milliarden Euro aufzulegen. Und das soll erst der Anfang sein, kündigt Verteidigungsministerin Lambrecht an. Auch die USA, Russland und China geben Rekordsummen fürs Militär aus und sie „modernisieren" ihre Atomarsenale, ihre Massenvernichtungswaffen. Kann so tatsächlich eine friedliche Welt entstehen? Wird so Frieden möglich?
Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Was hätte in den letzten Jahrzehnten aus Afghanistan werden können, wenn wir das Geld, das wir in Kriegshandlungen gesteckt haben, in soziale, ökologische und Bildungsprojekte gesteckt hätten? Wir brauchen endlich mehr Phantasie für Friedensprojekte. Klimaschutz statt Kriegsvorbereitungen. Krieg ist konträr zur Kultur der Menschlichkeit. Auch der dritte Weltkrieg, den wir gegen die Natur führen.
Die Lösung der Energiefrage steht am Himmel. Jesus schon vor 2.000 Jahren: "Die Sonne des Vaters scheint für alle." Sie schickt uns 15.000 mal mehr als die gesamte Menschheit heute verbraucht. Und die scheint auf jedes Dach - kostenfrei, umweltfreundlich und für alle Zeit. Worauf warten wir?
(Journalist Dr. Franz Alt hat ab der Mitte seines Lebens als Pazifist öffentlich Stellung bezogen. Krieg und Gewalt haben nicht das letzte Wort. Passend zu »Frieden und Heilung« erschien in 2022 sein Buch „Frieden ist NOCH IMMER möglich: Die Kraft der Bergpredigt".)
Neugestaltung geht.
Sebastian Sladek, Geschäftsführer der Elektrizitätswerke Schönau eG (EWS): Die immer drastischer spürbar werdende Klimakrise zeigt uns: Wir können so nicht weiter machen. Während die Weltgemeinschaft auf Klimakonferenzen noch diskutiert, ob man denn mal langsam was gegen die Erderwärmung machen wolle, schmelzen Gletscher, verschwinden Tier- und Pflanzenarten, trocknen Äcker und Flüsse aus und Stürme und Hochwasser sorgen für gigantische Zerstörung und millionenfaches unsägliches Leid. Das sind die Konsequenzen des fossilen Zeitalters, das aber nicht zu Ende gehen will, ohne zuvor noch einen brutalen Krieg mitten in Europa ausbrechen zu lassen.
Kaum ein Motto könnte besser in diese Zeit passen als „Frieden und Heilung". Denn Heilung wird es nicht geben ohne Frieden, und Frieden wird es nicht geben, wenn wir uns nicht selbst davon heilen, die Erde auszubeuten. Wir als EWS haben uns seit unserer Gründung für eine Energieversorgung eingesetzt, für die keine Kohle verbrannt oder hochgefährliches, krank machendes radioaktives Material eingesetzt werden muss. Windkraft und Sonne können uns Energie spenden, und alle können daran teilhaben. Der Schlüssel zur Heilung liegt in der Veränderung, hin zu einer Welt, in der wir lernen, mit weniger auszukommen. Nur so kann uns die Erde morgen noch geben, was wir brauchen. Es gibt viele, die bereits zeigen, wie das aussehen kann. Lassen Sie uns gemeinsam den Weg der Heilung einschlagen, denn viel kranker darf unser Planet nicht mehr werden.
(Sebastian Sladek ist der Sohn von Ursula und Michael Sladek, die als die »Schönauer Stromrebellen« bekannt geworden sind. Unter ihrer Führung haben die Bürgerinnen und Bürger als Reaktion auf den Reaktorunfall von Tschernobyl 1991 zuerst eine Bürgerinitiative und 1994 eine Energiegenossenschaft gegründet und für 8,7 Millionen DM das Stromnetz der Stadt Schönau von dem regionalen Stromversorger gekauft.)
Die Themenseite »Frieden und Heilung«, die unser Kooperationsprojekt durch das Kirchenjahr 2022/23 begleitet, wird im Laufe des Kirchenjahres vertieft und in Zusammenarbeit mit den beteiligten Bistümern und Landeskirchen inhaltlich weiter ausgearbeitet.
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18.11.2022 |